Frauen sind die neuen Männer, Frauen regieren die Welt. Das hört sich an, als hätte das starke Geschlecht heutzutage überhaupt nichts mehr zu sagen. Doch in Wahrheit handelt es sich bei solchen Aussagen leider oft um Schönrederei. Mentoring-Programme, wie sie die Universität Greifswald anbietet, sollen das Ungleichgewicht mildern.

Sie sind strukturiert, orientiert und zielstrebig. Sie besitzen Organisationstalent , Durchsetzungsvermögen und gleichzeitig das notwendige Maß an Sensibilität. Eigenschaften, die beste Voraussetzungen für eine Spitzenposition bieten. Sollte man meinen. Doch sie haben die Rechnung ohne Deutschlands Chefetage gemacht, die sich in der Realität alles andere als vorurteilsfrei zeigt: Frauen haben es bis heute schwerer als ihre männlichen Kollegen, eine Führungsrolle zu übernehmen – sei es in Wirtschaft oder Wissenschaft – wie Erhebungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft beweisen. Gleichzeitig werden die wenigen vorhandenen Chefinnen schlechter bezahlt. Davor schützt keine vorgeschriebene Frauenquote der Welt. Wenn es dicke kommt, setzt Herr Meyer aus dem Aufsichtsrat eben doch lieber auf Hart statt auf Weich. Auf Faustballen statt Handausstrecken.

Für jeden was dabei – die Bewerbung

Neben führenden Unternehmen haben auch die deutschen Universitäten dieses Problem inzwischen entdeckt und für sich selbst nutzbar gemacht: Zahlreiche Mentoring-Programme sollen der potentialvergeudenden Dysbalance entgegenwirken und Frauen in die Wissenschaft locken. So auch die Universität Greifswald, die 2011 mit einem Programm für Postdoktorandinnen den Grundstein für ihre landesweite Engagiertenförderung legte. Jeweils eine universitätsinterne und ein externe Mentorin sollen den jungen Frauen auf ihrem Weg die Karriereleiter empor beistehen. Drei Jahre später wurde die Zielgruppe auf Juniorprofessorinnen ausgeweitet. Im selben Jahr kamen weitere Programme für MedizinerInnen mit geplanter Niederlassung, DeutschlandstipendiatInnen und DoktorandInnen hinzu. „Schwerpunkt ist aber die geschlechtliche Gleichstellung“, betont Annette Ehmler, Mitarbeiterin des Projektes KarriereMentoring. So musste das Programm für – männliche wie weibliche – Deutschlandstipendiaten nach einmaliger Durchführung wegen mangelnden Interesses eingestellt werden. Umso größer der Anklang, den das Doktorandinnen-Programm findet: „Es sind immer mehr Bewerberinnen als Plätze“, erklärt Ehmler. Also eine Begabtenförderung mit Auslesefunktion? „Wenn man bereit ist, sich mit sich selbst und dem eigenen Karriereziel auseinanderzusetzen, hat man gute Chancen. Das Verfahren ist nicht mit unüberwindbaren Hürden verbunden.“ Dabei stehen die Türen in die Mentoring-Büros nicht nur jungen Frauen der Universität Greifswald offen. In Rostock kümmern sich Ehmlers KollegInnen analog um Doktorandinnen.

Grenzenlose Möglichkeiten – die Mentorenwahl

Erfreuliche Realität wurde die Beziehung zum großen persönlichen Vorbild zum Beispiel für Anica Beyer, Doktorandin der Mikrobiologie. (Das Interview zu Anicas Teilnahme am diesjährigen Nobelpreisträgertreffen in Lindau findet ihr im aktuellen Heft.) Die Vorteile für sie und alle anderen Doktorandinnen sind vielfältig, liegen klar auf der Hand. Zwei Pfeiler des Programms bilden Netzwerkveranstaltungen zum gegenseitigen Austausch und Seminare, die für Leitung und Management qualifizieren.

Wichtigstes Standbein aber ist der Kontakt zur Mentorin ihrer Wahl, die zum Großteil – wen verwundert’s – auf weibliche Führungskräfte fällt. Hierbei sind den Mentees buchstäblich keine Grenzen gesetzt, denn die Mamas auf Zeit werden nicht von der Universität gestellt.

„Viele denken zunächst, wir haben einen Pool an Mentorinnen, aus denen die passende gefunden werden muss“, fasst Ehmler die Vorstellungen frischer Bewerberinnen zusammen. „Doch die Karrierebegleiter sind weit verstreut. Selten kommen sie aus Mecklenburg-Vorpommern und noch seltener von unserer eigenen Universität.“

Dieser Offenheit den Mentees gegenüber, ihr eigenes Rollenvorbild zu finden, werde sehr viel Wert beigemessen. Mentorinnen stammen aus den unterschiedlichsten Bereichen in Wissenschaft und Wirtschaft. Dazu gehören unter anderem das Landesarchiv Rheinland-Pfalz, die Robert-Bosch-Stiftung oder der de Gruyter Verlag.

Den Kontakt zum ausgewählten Idol herzustellen, ist dann Aufgabe der Programmmitarbeiterinnen. Im besten Fall gehören dazu natürlich mehrere persönliche Treffen – kein Problem, solange der oder die Auserwählte sich in Deutschland aufhält. Schwieriger wird es, wenn die Wunschmentorin an der Harvard Medical School jenseits des Atlantiks lehrt. Doch auch dann setzen sich die Verantwortlichen dafür ein, dass zumindest ein einmaliges Treffen stattfinden kann, zum Beispiel durch Bezuschussung der Fahrtkosten.

Doch auch, wenn Gespräche von Angesicht zu Angesicht nur schwer zu ermöglichen sind – in jedem Fall profitieren Programmteilnehmerinnen von den Erfahrungen der Gestandenen. Diese führen sie nicht nur in ihre eigenen Netzwerke ein, sondern beraten die Mentees auch zum persönlichen Karriereweg.

Dicht am Zeitgeschehen – die Sichtweise des Mentors

Toll. Dann melde ich morgen also an, dass ich gerne von Frau Hugendubel oder Babykosthersteller Herrn Hipp persönlich lernen würde. So utopisch, wie es zunächst klingt, ist das gar nicht. „In 98 Prozent aller Fälle willigen die Führungskräfte, bei denen wir anfragen, sofort ein. Das hat uns zu Beginn auch erstaunt, weil die Mentoren in der Regel viele Positionen innehaben und extrem beschäftigt sind.“ Gerade unter den weiblichen Vorbildern gebe es jedoch positive Resonanz und begeisterte Zustimmung: „Viele wünschen sich einfach, dass sie früher auch die Möglichkeit gehabt hätten, von einem solchen Programm zu profitieren, und möchten gerne etwas zurückgeben“, beantwortet Ehmler die Frage nach dem Nutzen für die Mentoren. Selbstreflexion, Abstand von der eigenen Position gewinnen – das sind nur einige der Vorteile. Von einseitiger Beziehung kann also keine Rede sein und so kommt es nicht selten vor, dass auch nach Ende der Projektlaufzeit der Kontakt bestehen bleibt.

Breitgefächerte Förderung – der Ausblick

Zusätzlich wird momentan an der Finanzierung für ein weiteres Programm gearbeitet. Dieses soll sich an Absolventinnen im letzten Studienjahr richten. In Zukunft wird es daher vielleicht auch Studentinnen ohne Doktortitel-Ambitionen ermöglicht, den Absprung von der Universität unter individueller Betreuung erfolgreich zu meistern. Eine Vielfalt, die Realitätsnähe beweist. Schließlich ist die Bedeutung wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit komplexen Themen längst nicht in allen Führungspositionen gleich groß. Ob mit oder ohne Titel – wenn ich demnächst bei Frau Hugendubel untergehakt ans Büro von Aufsichtsratsmitglied Meyer klopfe, wird der uns bestimmt nicht die Tür vor der Nase zuschlagen. Vielleicht denkt er ja sogar daran, vorher mal die Zimmerpflanzen zu erneuern. Frauen stehen schließlich auf sowas.

Beitragsbild: Katerina Wagner