Das Theater Vorpommern zeigte im Rahmen des Ahoi Open Air Hafenfestivals eine Ostsee-Version des weltberühmten Musicalklassikers „Der Zauberer von Oz“. webmoritz. ging für euch auf die Reise ans Ende des Regenbogens.

„Aber das Mädchen heißt doch eigentlich Elli, nicht Dorothy?“, flüstert der blonde, blauäugige Junge neben mir erstaunt seiner Mutter zu. Ich muss lächeln und denke: Er hat Recht. Denn Dorothy Gale, Hauptfigur des 1900 erschienen Romans „Der Zauberer von Oz“ von L. Frank Baum, heißt in der russischen Nacherzählung von Alexander M. Wolkow tatsächlich Elli. Vor allem in der ehemaligen DDR fand und findet diese Version des amerikanischen Originals mit seinen zahlreichen Fortsetzungen viel Anklang.

Der Vorlage treu geblieben

Die vorpommersche Musicaladaption hingegen basiert in Anlehnung an die weltberühmte Verfilmung auf dem Originalwerk – Dorothy bleibt also Dorothy. Mit ihrem Onkel Henry und ihrer Tante Emmy wohnt das kleine Mädchen in Kansas, wo Henry als Kfz-Mechaniker seinen Lebensunterhalt verdient (in der Urfassung ist er Farmer). Bei einem schlimmen Wirbelsturm wird sie gemeinsam mit ihrem Hund Toto in das magische Land von Oz getragen, wo ihr Haus die böse Hexe des Ostens erschlägt. Dafür erhält Dorothy deren rote Schuhe, die Zauberkräfte besitzen. Glinda, die gute Hexe, weist Dorothy an, dem gelben Backsteinweg zu folgen, um nach Hause zu gelangen und warnt sie vor der bösen Hexe des Westens. Auf ihrem Weg trifft das Mädchen den Scheuch ohne Hirn, den Blechmann ohne Herz und den Löwen ohne Mut. Gemeinsam machen sie sich auf in die Smaragdenstadt, wo der mächtige Zauberer von Oz ihre sehnlichsten Wünsche erfüllen soll. Oz verlangt als Preis jedoch den Besen der bösen Hexe des Ostens. So kehren die Freunde um. Dorothy wird im Wald von den fliegenden Affen, Diener der Hexe, entführt und eingesperrt. Für ihre Begleiter beginnt ein Kampf gegen die Zeit, denn die böse Hexe möchte die roten Schuhe um jeden Preis haben. Schließlich können Löwe, Scheuch und Blechmann aber ins Schloss eindringen, wo Dorothy die Hexe tötet. Nun geht es zurück nach Oz, wo der „Zauberer“ als Lügner enttarnt wird – in Wahrheit ist er ein Gaukler aus Kansas. Er erklärt Dorothys Begleitern, dass sie ihre Wünsche auf der gefährlichen Reise bereits selbst erfüllt haben und schenkt dem Löwen einen Orden, dem Scheuch ein Diplom und dem Blechmann eine Herz-Taschenuhr. Dorothy möchte er im Heißluftballon persönlich nach Kansas bringen, doch die Leine reißt, bevor sie einsteigen kann. Glinda erscheint und erklärt Dorothy, dass sie nur dreimal die roten Hacken aneinanderschlagen müsse, um heimzukehren. So erwacht sie etwas verwirrt kurz darauf in ihrem Bett in Kansas, wo Onkel und Tante ihr versichern, sie hätte nur geträumt.

Familienspaß mit Blick auf das Kleine

Regisseur Jürgen Pöckel hat für das Theater Vorpommern eine Variation des beliebten Klassikers geschaffen, die Groß und Klein gerechter wird als das heute etwas altmodische wirkende Original. Liebevolle Details wie tanzende Schneemänner oder der Wirbelsturm, dargestellt von Schauspielern in schwarz-goldenem Kostüm, sowie der gelbe Backsteinweg in Form eines Bauarbeiters lassen die Kindergesichter um mich herum lachen. Äpfelwerfende Bäume, regenbogenfarbene Leitern und vor allem die verschiedenen Toto-Requisiten – mal als schnuckliges Kuscheltier, mal als niedlicher Retriever auf Rädern – kommen bei den kleinen Zuschauern sehr gut an. Gleichzeitig trifft Pöckel mit trockenem Sarkasmus aber auch den Geschmack vieler Erwachsener: dass die böse Hexe auf Dorothys Frage, wie man nur so gemein und grausam sein kann, mit „Übung mein Kind. Ganz viel Übung.“ antwortet, findet der blonde Junge überhaupt nicht komisch, seine Mutter dafür umso mehr.

Weniger ist auch in Kinderaugen mehr

Besonders beeindruckend dargestellt werden der Zauberer von Oz selbst (Tye Maurice Thomas), die böse Hexe (Christina Winkel) sowie der Feige Löwe (Thomas Rettensteiner), der mit seiner liebenswürdigen Art nach wenigen Minuten alle großen und kleinen Herzen für sich gewonnen hat. Die Rolle der Dorothy (Anna Wagner) wirkt hingegen ein wenig übertrieben – richtig, sie ist ein Kind, aber bestimmt kein überdrehtes, verwöhntes, anstrengendes, wie sie in der Open-Air-Aufführung des Theaters Vorpommern erscheint. „Ich bin Dorothy, ein kleines Mädchen aus Kansas“ – das ist einfach nicht authentisch. So würde sich kein Kind jemals vorstellen. Nicht bei der Familienfeier, nicht in der Schule und schon gar nicht beim großen Zauberer von Oz. Ihr knallbuntes Kostüm kann man bei gutmütiger Betrachtung noch in die Rubrik Ich-bin-jetzt-schon-sieben-und-entscheide-selbst-was-ich-anziehe packen. Objektiv gesehen gleicht es aber eher einem Achtziger-Party-Ausrutscher. Schlimmer ist nur noch das Outfit der guten Hexe Glinda: rosa, wohin das Auge sieht. Auch diese Figur wirkt übertrieben, aufgesetzt, irgendwie zu gewollt. Eine kindgerechte Vorstellung ist toll, aber Kinder sind nicht blöd. Sie sind Kinder. Der Beweis? In der Szene mit den Apfelbäumen kommentiert der gesprächige blonde Junge die graugrüne Hose eines Schauspielers, die von den weiten braunen Röcken der anderen abweicht, mit den Worten: „Was ist das denn für’n komischer Baum?“ Recht hat er. Wenn schon Baumkleider, dann konsequent, bitte schön.

Deutsche Musicaltexte mit Live-Begleitung

Für begeisterten Applaus gegen Ende der Vorstellung sorgt stattdessen das Orchester, das unter der Leitung von Egbert Funk geschützt in einem Zelt neben der Bühne jede einzelne musikalische Darbietung begleitet. Dabei dürfen die beliebten Klassiker wie „Over the rainbow“ und „Ding Dong! The witch is dead“ natürlich nicht fehlen. Vermutlich den kleinen Zuschauern zuliebe wurden die weitaus schöneren Originale jedoch leider durch die deutschen Texte ersetzt. Ein paar der Lieder erwecken das ungeduldige Kind in mir, das bei jedem Gesang im Disney-Film denkt: wie nett, aber wann geht’s endlich weiter?

Abgesehen von ein paar Schwächen in der Darstellung der Charaktere und einigen wenigen Patzern während der Vorstellung – mitunter wirkten die fliegenden Affen und schwarz-goldenen Wirbelsturmmenschen etwas ungelenk und unsicher, wann sie wo sein sollten – liefern Regie, musikalische Leitung und alle anderen Beteiligten hier dennoch ein witzig-anrührendes Erlebnis für die ganze Familie. Der großspurige Zauberer, Dorothys Begleiter, von denen jeder auf seine eigene Art über sich hinauswächst, und nicht zuletzt das Mädchen selbst als perfekte Identifikationsfigur begeistern nicht ohne Grund seit gut einem Jahrhundert Eltern und Kinder. Da sehen die blauen Augen auch gerne für einen Abend darüber hinweg, dass das Mädchen eigentlich Elli heißt.

Beitragsbild: http://www.theater-vorpommern.de

Fotos: Luise Fechner