Wer freiwillig in die Asse fährt, ist doch lebensmüde. Oder etwa nicht? Ein Erfahrungsbericht von einer Exkursion in ein Zwischenlager für atomaren Müll.

Die Luft im Gang ist stickig und an die 44 Grad Celsius heiß. Es ist laut durch den Lärm vieler Maschinen. Bis auf das Licht der Taschenlampen ist es dunkel. Überall am Rand liegen oder stehen mit Staub bedeckte Gerätschaften. Schwer drückt der Sauerstoffselbstretter auf meine Schulter. Ich beginne, vor Anstrengung zu keuchen. Da taucht auf der rechten Seite ein verschütteter Gang auf. Schnell gehe ich weiter und schließe endlich zu den anderen auf, die bereits den nächsten, beleuchteten Gang erreicht haben. Ein wenig fühlte ich mich hier, auf mehr als 500 Meter unter der Erde, wie in einem Katastrophenfilm. Doch glücklicherweise ging alles gut, als ich mit zwölf anderen Studenten und einem Professor vom Institut für Geographie und Geologie am letzten Freitag die Schachtanlage Asse 2 besuchte.

Hohe Sicherheitsstufen

Sicherheitskontrolle vor der Einfahrt.

Sicherheitskontrolle vor der Einfahrt.

Abfahrt war schon um sechs Uhr morgens, schließlich dauerte die Fahrt an die fünf Stunden. Unterwegs gingen mir allerhand Dinge durch den Kopf. Immerhin war die Asse in meiner Kindheit ein nicht nur durch die regionalen Medien geisterndes Schreckgespenst. Dass mich Bekannte gefragt hatten, ob ich dann in Zukunft im Dunkeln leuchten würde, als ich ihnen von der Exkursion erzählte, machte die Sache nicht besser. Die seit 2009 zum Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) gehörende Anlage erinnert vom ersten Moment an, an ein Militärgelände: Es gibt Überwachungskameras an jeder Ecke und Sicherheitskontrollen wie an einem Flughafen.

Bevor wir unter Tage fahren konnten, erhielten wir neben etwas zu essen eine fast zweistündige Einführung in die Geschichte und den Aufbau des über hundert Jahre alten Salzbergwerkes. Diese war erst wenig beruhigend, da ausgeführt wurde, was in der Vergangenheit alles bei der Atommülllagerung falsch gemacht worden war. Kurz gesagt: So ziemlich alles. “Abgeordnete aus aller Welt kommen zu uns, um zu lernen, wie man es nicht macht”, berichtete unsere Besucheraufsicht. Andererseits betonte sie aber auch, dass der strahlende Abfall gut hinter dicken Salzwänden isoliert ist. Gelbe Fässer bekämen wir demnach nicht zu sehen. Zusätzlich erhielt jeder ein persönlichen Dosimeter, das die Strahlendosis, die einen trafen, anzeigen sollte. Angeblich seien diese Werte in der Schachtanlage sogar niedriger als an der Oberfläche, weil die kosmische Strahlung wegfiele.

In die Tiefe

Ein Modell der Landschaft um die Asse.

Ein Modell der Landschaft um die Asse.

Nach der Sicherheitskontrolle ging es zum Umziehen. In meiner Kaue, einer Art Umkleidekabine mit Dusche und Waschbecken, lag ein komplettes Set Bergmannskleidung. Selbst die Unterwäsche sollte gewechselt werden. Zwar waren die Sachen alle etwas zu groß und für Männer und Frauen einheitlich, aber besser als zu eng. Mit Einheitskleidung, Helm, Dosimeter, Taschenlampe und Sauerstoffselbstretter ausgerüstet ging es zum Fahrstuhl und mit 36 km/h in 490 Meter Tiefe oder besser Teufe, wie der Bergmann sagt. Dort begrüßte uns in einer Nische eine Figur der heiligen Barbara, Schutzpatronin der Bergleute.

Wir passierten ein sogenanntes Wettertor, ein großes, gelbes Stahltor, das den Luftaustausch mit regelte. Dann gingen wir ein Stück bis wir die mit Stahlgittern verstärkten Autos für die Weiterfahrt erreichten. Unterdessen erzählten uns unsere Begleitpersonen weitere Besonderheiten über die Schachtanlage und ihren Alltag in der Asse. “Im Winter ist die Zugluft im Fahrstuhl wirklich ätzend”, meinte zum Beispiel eine. Mit den Autos fuhren wir die “Wendel” genannte Straße weiter bis auf 750 Meter unter der Erdoberfläche. Hier war es weniger heiß als weiter oben, weil die Frischluft direkt nach ganz unten gepumpt wird und von dort durch die ganze Anlage hindurch aufsteigt. Durch die hohen, breiten Gänge merkte ich außerdem kaum das über uns lastende Gestein. Wir waren nun letztendlich auf der selben Ebene, Sohle genannt, wie die Hauptlagerkammern des Atommülls. Ein Blick auf mein Dosimeter allerdings ließ nicht im Geringsten erahnen, dass nur wenige Meter entfernt von mir zehntausende Fässer radioaktiven Materials lagerten. Wir stellten die Autos in einem unbeleuchteten Gang ab. “Wir haben hier bereits die Elektronik abgebaut, weil wir den Gang demnächst dicht machen und mit Spezialbeton füllen”, erklärt man uns, “Sie sind vermutlich die letzten Besucher, die diesen Abschnitt betreten.”

Absaufende Gänge

Hier war mal ein Blindschacht.

Hier war mal ein Blindschacht.

Der Grund für diese Maßnahme war deutlich zu sehen: Breite Risse durchzogen die ganz aus Steilsalz bestehenden Decken und Wände des Ganges. Zwar könne die Asse nicht in dem Sinne direkt einstürzen, doch führe der Gebirgsdruck durch das umlagernde Gestein dazu, dass die ganze Anlage allmählich zusammengedrückt wird. An einer anderen Stelle war dies sehr eindrucksvoll zu erkennen. Hier hatte sich ehemals ein zweieinhalb Meter breiter Blindschacht, also ein Schacht, der nicht bis an die Erdoberfläche reichte, befunden. Dieser war durch die Bewegungen im Salz in nur vierzig Jahren vollständig geschlossen und bis zu vier Meter nach Norden verschoben worden. Das systematische Befüllen der Gänge soll den Mitarbeitern des BfS Zeit geben, ihre Aufgabe zu erfüllen. Die Asse soll so schnell wie möglich vollständig geräumt werden. Nur so könne man gewährleisten, dass in Zukunft keine Gefahr für die Biosphäre von diesem Ort ausgeht. Ein großes Problem stellt hierbei das viele eindringende Wasser dar. Dieses könnte kontaminiert werden. In wiefern dadurch das Grundwasser gefährdet sein kann, ist umstritten.

Vor der Fahrt zurück an die Oberfläche mussten wir Hände und Füße auf Kontaminationen testen lassen. Obwohl ich bis dahin einen Großteil meiner Angst abgelegt hatte, war ich doch erleichtert, als die Computerstimme mir mitteilte: “Keine Kontamination.” Trotzdem führte mein erster Gang oben in meiner Kaue sofort unter die Dusche: Salzstaub und Schweiß abwaschen. Irgendwie war ich nun doch froh, dass meine eigene Kleidung nicht mit unten war.

 

Fotos: Juliane Stöver