Alle freuen sich, wenn die Sonne scheint. Dass sie aber als Ursache für Homosexualität herangezogen wird, ist wohl den Wenigsten bekannt. Gleichgeschlechtlichkeit ist kein neues Thema. Solange die Menschheit existiert, ist sie Bestandteil der gesellschaftlichen Ordnung. Umso verblüffender ist es, dass es in der heutigen Gesellschaft noch immer notwendig ist, für ihre Akzeptanz zu kämpfen.

„Wir haben uns der Aufklärung verschrieben“

Eine der Initiativen, welche sich dem Kampf um Akzeptanz und Aufklärung verschrieben haben, ist die von Studenten geleitete Gender Trouble AG (GT). Sie setzt sich nicht nur „für die Gleichstellung aller“ ein, sondern definiert sich auch über einen selbst auferlegten Lehrauftrag, so Sven Bäring, Öffentlichkeitsbeauftragter der GT. In diesem Kontext finden immer wieder Vorträge zu verschiedensten Themen statt, wie auch am 13. Januar 2015, zu welchem Dr. Marion Näser-Lather von der Philipps-Universität Marburg geladen war. Unter dem Thema „Aspekte der Begriffsgeschichte gleichgeschlechtlichen Begehrens“ referierte sie über manch Bekanntes, aber auch einiges Verblüffendes.

Antiquierte historische Relikte

Schaut man sich in der Geschichte um, so findet man verschiedenste gesellschaftliche Ausprägungen der Vorliebe zum eigenen Geschlecht. Da der Rahmen unserer Wertevorstellungen durch die Geschichte geprägt ist, finden sich diese Ausprägungen auch in der heutigen Gesellschaft. Nur die Bewertung und Umsetzung verändern sich über die Zeitalter.

Im Alten Griechenland verstand man die Zuneigung eines erwachsenen Mannes zu einem pubertierenden Jungen als Dienst an der Gesellschaft. Der Junge wurde auserwählt und als Gegenleistung von seinem „Mentor“ in allem unterrichtet, was er als Mann benötigen wird. Im römischen Reich wiederum galt die Penetration als Machtausübung. Wie man spätestens in der Serie „Spartacus“ lernte, waren Sklaven jeden Geschlechts als Sex-Diener keine Ausnahme. Aber auch die eigene Frau hatte jederzeit zur Verfügung zu stehen.

Im Christentum war jede Form der Andersgeschlechtlichkeit nicht nur „vitium contra naturam“ – ein Laster wieder der Natur – sondern widersprach auch dem göttlichen Plan. Sodomie wurde als Sammelbegriff abweichender Sexualpraktiken verstanden und nicht selten mit nichts geringerem als dem Tode bestraft. Gott sei Dank spielen die vielschichtigen Todesformen des Mittelalters heute keine Rolle mehr, aber das vielerorts gleichgeschlechtliche Paare noch immer nicht den Eheschwur leisten dürfen, wirkt dennoch ziemlich antiquiert.

Und wie war das bei den Nationalsozialisten? Da sich die Herrenrasse bei den ganzen Kriegsverlusten vermehren musste, beschloss man kurzer Hand, dass die Juden schuld sind. Der homosexuelle Mensch war demnach jüdischer Abstammung und um die Herrenrasse rein zu halten folgte – der Tod.

Sind wir alle besessen?

Das eigene Geschlecht zu mögen ist nicht falsch. Es ist im historischen Kontext viel mehr ein Identitätsmerkmal. Hereingeboren in eine Gesellschaft mit bestimmten Rahmenbedingungen zeigt es, dass man sich seiner Selbst und seiner gesellschaftlichen Rolle bewusst ist und sie akzeptiert. Problematisch wird es, wenn sich das „Mögen“ als Begehren manifestiert. So war es vor 2000 Jahren, so ist es heute. Aber auch nur dann, wenn man dabei aus seiner Geschlechter- und Gesellschaftsrolle heraus fällt. Wenn sich zwei römische Herren gehobenen Alters anstatt mit einem Jüngling trafen, stieß dieses Verhalten auf wenig Verständnis.

Viele Thesen wurden im Laufe der Jahrtausende aufgestellt, wie dieses norm-abweichende Verlangen zu erklären wäre. Dabei trafen Theorien, welche von einer Spielart der Natur ausgingen auf Pathologisierungsversuche.

Africanus zog im 16. Jahrhundert die afrikanische und asiatische Sonne zur Verantwortung. Durch die intensive Hitze kam es ihm zufolge zu einem ungewöhnlichen Wachstum der Klitoris, wodurch der Betroffene, einer Frau gleich, die Zuneigung zu einem Mann verspürt und weibliche charakterliche Eigenschaften zeigt, aber das Geschlecht eines Mannes hat.

Die Organisatoren Sven Bäring (li.) und Yasmin Müller (re.) sowie die Referentin (Mi.)

Die Organisatoren Sven Bäring (li.) und Yasmin Müller (re.) sowie die Referentin (Mi.)

Zeitweilig galt der Homosexuelle als eigene Spezies. Ein „Subjekt“ mit abweichender Anatomie und Physiologie. Der 1888 geborene Philosoph Hans Blüher spielte mit seinen Ansichten und Schriften bezüglich der „schlechten Rassentrennung“ und der Assoziation von jüdischer Abstammung mit weiblichen Attributen Hitler in die Hände. Seine Schriften lieferten die Munition um Hitler von dem „drohenden Abfall Röhms von seinem Führer“ zu überzeugen und forderten in Folge dessen nicht nur das Leben seines Stabschefs, sondern begründete auch die Homosexuellenverfolgung jener Zeit.

Ebenso wie Sigmund Freud ging auch Karl Heinrich Ulrichs im 19. Jahrhundert von einer natürlichen Zweigeschlechtlichkeit aus. Freud, seines Zeichens Tiefenpsychologe und Kulturtheoretiker, sprach von einer natürlichen, also nicht krankhaften, Bisexualität, welche sich auf männlich, aktiv oder weiblich, passiv motivierte Wünsche bezieht und die heute seiner Triebtheorie zugeordnet werden. Noch in den 70er Jahren stand die Homosexualität mit eigener ICD10 Nummer im großen Buch der psychischen Störungen, was jedoch nicht auf Freud zurückzuführen war, sondern mehr auf einen gesellschaftlichen Wandel seiner Zeit.

Der Jurist und Journalist Ulrichs wird heute als der „erste Homosexuelle in der Weltgeschichte“ bezeichnet und setzte sich intensiv für die Straffreiheit homosexueller Handlungen ein. Es handle sich nicht um eine krankhafte, sondern natürliche, angeborene Veranlagung, die er „psychischen Hermaphroditismus“ nannte. Er war der Überzeugung, dass es sich um eine Internalisierung der Seele des anderen Geschlechtes handelt. Die Seele beispielsweise eines Mannes also einer Frau inne wohnt und andersherum. Sind wir also angesichts der verschwimmenden Geschlechterrollen in der heutigen Gesellschaft alle besessen von den Seelen des anderen Geschlechts?

Festgefahrene Rollenzuweisungen

Fokussiert wurde bei all diesen Überlegungen die Person, die aus seiner Rolle fällt. Der Mann stand seit je her für Stärke, Macht und Wehrhaftigkeit. Der virile Mann einer gleichgeschlechtlichen Beziehung verkörpert diese Attribute auch weiterhin, während der effeminierte (lateinisch effeminatus – verweiblicht, weibisch) Mann mit weiblichen Attributen assoziiert wird: Er ist der verweichlichte, schwache Unterwürfige. Genau andersherum ist es bei den Damen der Schöpfung. Über die gleichgeschlechtliche Neigung bei Frauen liest man allerdings nur wenig in den Geschichtsbüchern. Da hosentragende, handwerklich arbeitende oder gar kriegsdienende Damen erst mit fortschreitender Emanzipierung anzutreffen waren, konnte die homosexuelle Frau ihrer gesellschaftlichen Rolle weiterhin treu bleiben. Das mag wohl einer der Gründe sein, weshalb sich die homosexuellen Damen in der heutigen Gesellschaft einer höheren Akzeptanz erfreuen können, als die Herren aller Nationen.

So emanzipiert unser Gesellschaftskonstrukt heute auch ist, finden sich dennoch diese tief verankerten Attribute des starken, niemals unterwürfigen Mannes und der sanften, aufopferungsvollen Frau. Naserümpfen findet sich nicht nur als Reaktion auf Homosexualität sondern auch bei Frauen, die sich in der Nahrungskette nach oben gekämpft haben und dem haushaltsführenden Mann. Ist es also nicht an der Zeit, dass wir uns nicht nur über die Sexualpraktiken einzelner, sondern viel mehr über die überholungsbedürftige Rollenzuweisung der Geschlechter in unserer Gesellschaft unterhalten?

 Fotos: Diana Rümmler