Sexwünsche – Schweigen ist Gold?

mm110_36_kultur_tänzerin_SabrinaSex and the City, Feuchtgebiete, Shades of Grey – man wird nur so überschüttet mit Geschichten über die schönste Nebensache der Welt. Sex sells – das gilt besonders für die Medien. Doch sprechen die Menschen wirklich so offen über ihr Intimleben, wie es in Serien oder Reportagen dargestellt wird? Oder ist das Thema Sex gerade deshalb so interessant und populär, weil es in der Gesellschaft immer noch Tabus gibt?

Sex ist omnipräsent – selbst wenn man ihn nicht hat oder auch noch nie hatte, wie schätzungsweise zwei Millionen Deutsche. In dem Buch „Und wer küsst mich?“ von Maja Roedenbeck geht es um Menschen, die noch nie Sex hatten – nicht, weil sie alle keine Lust hätten, sondern weil der erste Schritt manchmal zu schwer ist und mit der Zeit auch nicht leichter wird. Knapp 2 000 aktive „Absolute Beginners“, wie sie sich selbst nennen, versuchen mithilfe eines gemeinsamen Online-Forums Gleichgesinnte zu finden und sich auszutauschen. Die Angst, nicht mitreden zu können, nicht normal zu sein – ausgegrenzt zu werden, kann belastend sein. Wer mit über 30 noch keinen Sex gehabt hat, wird wahrscheinlich gerade durch die Freizügigkeit im deutschen Fernsehen eher unter Druck gesetzt als aufgeklärt.
Aber auch auf der anderen Seite gibt es Scham und Druck: Rund 65 Prozent aller Männer und 56 Prozent aller Frauen haben auf die Frage, ob ihre sexuellen Wünsche in ihrer Partnerschaft erfüllt werden, mit „Nein“ geantwortet. Ein ziemlich frustrierendes Ergebnis.
Unerfüllte Wünsche kennt auch Miss Decadoria – von ihren Kunden. Die junge Frau ist seit einigen Jahren in Berlin unter diesem Namen als Domina tätig und versucht, die erotischen Fantasien ihrer ausschließlich männlichen Kundschaft zu erfüllen – Fantasien, die die Männer in einer Beziehung nicht ausleben könnten, da sie Angst vor der Reak-tion ihres Partners haben. Sie kennen zwar ihre Neigungen, verschweigen diese aber lieber, weil sie befürchten, als abnormal zu gelten und die Beziehung dadurch zu gefährden. „Ich finde das allerdings sehr bedenklich, die Frau versucht dann ihrem Mann ein erfülltes Sexualleben zu bieten und sie kann im Normalfall natürlich nichts von den geheimen Fantasien wissen“, wendet Miss Decadoria ein, „Das ist für beide Seiten sehr schade, die Frau erhält nicht mal die Möglichkeit, die Fantasien zu befriedigen und der Mann erzeugt dann selbst ein geheimes sexuelles Doppelleben.“
Insbesondere betrifft das natürlich Menschen, die einen ungewöhnlichen Geschmack haben, der deshalb auch nicht in der Öffentlichkeit thematisiert wird. Vibratoren, Gleitgel, Handschellen – das sind Gegenstände, die man gut und gerne in der Schublade haben darf. Immerhin nutzen laut der „Durex Global Sex Survey 2012“ ein Drittel aller deutschen Paare Dildos oder andere Sexspielzeuge. Anders sieht das jedoch bei Fetischen aus, die in der Gesellschaft nicht als massentauglich gelten. Doch wer bestimmt, welche Vorlieben legitim sind und welche nicht?

Windeln als Sex-Accessoire

„Mir macht es Spaß, Menschen zu treffen, die anders ticken und mir ‚quasi‘ ihre Abgründe offenlegen. Außergewöhnliche Fantasien und Ideen sind auch immer eine Herausforderung und diese liebe ich! Es ist so, dass bei vielen Fetischen Gegenstände oder Körperteile aus ihrem normalen Kontext gerissen werden. Je extremer das ausfällt, desto mehr wird ein Fetisch tabuisiert.“ Beispielsweise werden Windeln im Normalfall mit Babys assoziiert; ein Fetischist würde jedoch durch das Tragen von Windeln sexuell erregt, was für die Außenstehenden auf den ersten Blick seltsam erscheint. Ein Grund für viele, ihre intimsten Wünsche und Gedanken vor dem Partner zu verschweigen, weil sie Angst haben, als Perverser abgestempelt zu werden. Bereits jedes dritte Pärchen hatte laut einer Umfrage der Zeitschrift „Elle“ wegen unterschiedlicher Bedürfnisse Streit. Theoretisch könnte man also einwerfen, dass so etwas wie Windeln tragen oder Toilettenerziehung wie Miss Decadoria sie anbietet, so spezielle und „anormale“ Wünsche sind, dass man sie dem Partner zuliebe verschweigen sollte. Wenn aber in jeder zweiten Beziehung sexuelle Fantasien verschwiegen werden, ist das dann „normal“?
Da stellt sich die Frage, ob Sex überhaupt ein Thema in den Medien und in der breiten Öffentlichkeit sein muss, sodass Vorstellungen und Wünsche erst „normiert“ werden können? Schließlich ist Sex ein intimer Austausch zwischen zwei Menschen und kein Volksereignis. Wie er abläuft, sollte eigentlich jedem selber überlassen und nicht durch die Medien kommentiert und bewertet werden. Doch dass das nicht der Fall ist, erkennt man, wenn man sich den Fall des ehemaligen Wetterexperten ins Gedächtnis ruft. Fast täglich wurden neue Details seines Liebeslebens in der medialen Öffentlichkeit debattiert – unabhängig vom Prozessverlauf. Eine pikante Information – eine riesige Schlagzeile. Mit Sex wird Quote gemacht. Während in Russland ein Verbot der „Werbung“ für Sex unter Jugendlichen und der „nicht-traditionellen“ Beziehungen beschlossen wurde und damit weiter zu Tabuisierung beigetragen wird und Homosexualität im deutschen Fußball scheinbar noch immer verheimlicht werden muss, kann zumindest in den deutschen Medien von Tabus keine Rede sein. Gummipuppen, Fesselspiele, Swinger-Clubs – je ausgefallener, desto besser. In Reportagen wird über ungewöhnliche Berufe im Erotikbereich berichtet; Pornodarsteller in Aktion, Bordellbesitzer oder SM-Liebhaber – nach elf Uhr fällt jede Tabugrenze. Serien wie „Sex and the City“ handeln von Problemen rund um die schönste Nebensache der Welt und Bücher á la „Shades of Grey“ erreichen Bestseller-Status. Aber kann man deshalb auch von einer offenen und toleranten Gesellschaft sprechen? Jemand, der mit über 30 noch keinen Sex gehabt hat, bestimmte Fetische besitzt oder eine ungewöhnliche Berufswahl getroffen hat, wird zwar in den Medien thematisiert – wenn man aber seinen Chef im Swinger-Club trifft, kann es mit der Offenheit schon wieder ganz anders aussehen. Auch Miss Decadoria weiß, dass die Wahl ihres Berufs ein „beliebtes Tratsch-und Lästerthema“ im größeren Bekanntenkreis ist. Von ihren Freunden und ihrer Familie jedoch gab es jedoch statt Skepsis eher ein paar neugierige oder ungläubige Blicke – „gerade wenn es ins Detail einiger Tätigkeiten geht“, erzählt sie.

Sex sells – Sexspielzeug als Life-Style-Produkte

Für Frau Werth gehören pinke Vibratoren, Pornos oder nach Schokolade schmeckendes Gleitgel zum Alltag – schließlich ist sie Besitzerin des Beate-Uhse-Laden in der Innenstadt Greifswald. Am meisten Spaß machen ihr die Kundengespräche und die Beratung. Allerdings scheinen die Greifswalder nicht besonders kaufkräftige Kunden zu sein – während es vor mehreren Jahren noch drei Sex-Shops gab, findet man in den Gelben Seiten nun nur noch einen – wobei man vermuten kann, dass viele Interessierte lieber online und anonym bestellen. Schließlich gibt es im Internet ein großes Angebot an qualitativ hochwertigen Waren. Egal ob Massageöle, Liebeskugeln, erotische Dessous, Spielzeuge für Männer, Handschellen oder Lederpeitschen – im Internet findet man alles, was das Herz begehrt. Zu größten Herstellern zählt das deutsche Unternehmen Fun Factory. Sexspielzeuge gelten mittlerweile als Life-Style-Produkte und die Industrie versucht alles, um ihren Kunden den Kauf so einfach und angenehm wie möglich zu gestalten. Denn Sexspielzeuge mal ins Liebesleben einzubeziehen, wünschen sich laut dem FirstAffair.de-Sexreport 25,5 Prozent der Deutschen. Deshalb bieten Unternehmen mittlerweile sogenannte „Dildo-Partys“ an, die speziell an Frauen gerichtet sind. Wie bei einer „Tupper-Party“ kommt ein Vertreter, in diesem Fall eine „Dildo-Fee“ nach Hause, die in entspannter Atmosphäre verschiedene Produkte vorstellt. Denn mit Freundinnen bei einem Gläschen Sekt lässt es sich gleich viel besser shoppen. Für manche kein Problem, andere finden dies schon wieder zu freizügig.

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold?

Auch Miss Decadoria hängt ihre Wünsche und Vorstellungen nicht an die große Glocke: „Ich finde das ist eine Frage der Notwendigkeit. Muss ich meiner Familie oder meinen Kollegen wirklich mitteilen, wo meine persönlichen Vorlieben liegen, besonders wenn man dann negative Reaktionen zu erwarten hat? Ich finde, dass man da im Zweifelsfall lieber seine Privatsphäre wahren sollte.“ Lediglich vor seinem Freund oder seiner Freundin wäre Schweigen und Scham fehl am Platz. Dennoch haben in Beziehungen knapp 70 Prozent Hemmungen, mit ihrem Partner über Sex zu reden, wie eine Umfrage der „Elle“ ergab. Auch von Miss Decadorias Kunden gehen die wenigsten wirklich offen mit ihren Neigungen um.  Ein Kunde habe sein Gesicht sogar schon mit einer schwarzen Maske verdeckt, bevor er zum gemeinsamen Treffpunkt kam, um von niemandem erkannt zu werden.
Frustrierend ist dies auch für denjenigen, der die Wünsche umsetzen soll, wenn er nicht wirklich weiß, was sich der andere wünscht – oder nicht einmal weiß, dass der andere sich etwas wünscht. „Ich kann niemanden in den Kopf schauen“, erklärt Miss Decadoria, „manchmal scheinen das einige nicht ganz zu verstehen und erwarten quasi ein Wunder von mir. Das ist so, als würde ich zum Friseur gehen und sagen „Schneide mir die Haare“ und dann erwarten, dass mein Wunschhaarschnitt dabei rum kommt.“
Sex gehört zu den intimsten Kommunikationsformen zwischen zwei Menschen. Auf der einen Seite kann das ständige Reden darüber dem Sex die Romantik und den Zauber nehmen, auf der anderen Seite kann man sich fragen, inwieweit Zauber und Romantik zwischen zwei Menschen existieren, die sich nicht trauen, dem Liebsten oder der Liebsten zu sagen, was sie wirklich wollen.
Scham und Lust – zwei Gefühle, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, die aber durch erotische Fantasien miteinander verbunden sein können. Möglicherweise sind manche Wünsche in der Fantasie auch besser aufgehoben, doch das sollte jeder für sich selbst entscheiden und nicht von der Gesellschaft abhängig machen.

Sabrina v. Oehsen schrieb diesen Artikel und zeichnetete das Bild.

TITEL: Greifswald, deine Denkmäler

mm110_26_Greifswelt_CDF_BellaJeder Ort hat seine Geschichte. Und Geschichte hinterlässt zumeist Spuren, von denen wir heute noch Zeuge werden können, wenn wir nur hinsehen und es Bemühungen gibt, diese historischen Zeugnisse zu erhalten.

Die Stadt Greifswald besteht nunmehr seit über siebenhundert Jahren, erste Siedlungsspuren gehen bis ins frühe dreizehnte Jahrhundert zurück. Im Jahr 1250 erhielt die Siedlung, die zu damaligen Zeiten noch als Gripeswald oder auch Gripswolde bekannt war, das Stadtrecht. Vieles ist seither geschehen: Die Einwohnerzahl hat sich seit Beginn des siebzehnten Jahrhunderts verzehnfacht, seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts mehr als verdoppelt. Eine Veränderung des Stadtbildes ist nicht zuletzt dadurch nur natürlich und trotzdem zählt die Greifswalder Altstadt mit ihrem Marktplatz und dem freistehenden Rathaus zu den schönsten in Norddeutschland. Dies ist nicht zuletzt ein Verdienst des Denkmalschutzes. Aber auch fernab der Altstadt findet sich gedenkwürdiges.

Die Denkmäler der Hansestadt

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Die Greifswalder Marienkirche wurde um 1280 fertiggestellt. Die Arbeiten am Langhaus jedoch dauerten vermutlich bis ins 14. Jahrhundert an.

Fällt der Begriff des Denkmals, denkt man wohl in erster Linie an Monumente oder Statuen, die zur Erinnerung an bedeutende Ereignisse oder Personen errichtet wurden. So kommen in Bezug auf Greifswald das Rubenow-Denkmal oder die Statue zu Ehren Caspar David Friedrichs in den Sinn. Darüber hinaus gibt es aber auch Denkmäler, die erhaltene Werke der Kunst oder der Baukunst umfassen. Das Denkmalschutzgesetz erweitert diese Begriffe und legt fest, was geschützt werden soll. Im Sinne jenes Gesetzes sind Denkmäler Dinge, die bedeutend für die Geschichte und Entwicklung von Menschen, Städten und Siedlungen sind. Aber auch künstlerisch, volkskundlich und wissenschaftlich wertvolle Zeugnisse fallen unter diese Definition. Weiterhin gibt das Gesetz Auskunft über die verschiedenen Kategorien von Ehrenmälern. So wird zum Beispiel das Einzeldenkmal erwähnt. Es kann sich dabei um ein Gebäude wie das Greifswalder Rathaus oder um eine Grünanlage wie den Rubenow-Platz handeln. Technische Konstruktionen wie die Wiecker Brücke gehören genauso in diese Kategorie wie die gesamte Wallanlage, die die Altstadt umschließt. Die Besonderheit von Einzeldenkmälern liegt darin, dass sie in ihrer Gesamtheit unter Schutz stehen. Es soll nicht nur die Fassade und das Dach eines Gebäudes, sondern auch der gesamte Innenbereich in seiner historischen Form erhalten bleiben. „Dazu gehören Raumstrukturen, Ausstattungselemente wie Türen und Treppen, Fußbodenbeläge oder Holzbalkendecken aber auch Betondecken bei moderneren Denkmälern. Bei der Wiecker Brücke gehört natürlich die gesamte Konstruktion einschließlich der Ketten, der Scharniere, des Unterbaus und der Pfeiler dazu“, erklärt Astrid Ewald, Sachbearbeiterin der unteren Denkmalschutzbehörde in Greifswald. „Es gibt auch Denkmäler aus dem zwanzigsten Jahrhundert“, führt sie weiter aus. „Denkmal bedeutet nicht immer uralt. Etwas muss nicht alt sein, wenn es eine geschichtliche Bedeutung hat“, ergänzt Andrea Henning, ebenfalls Sachbearbeiterin der unteren Denkmalschutzbehörde.
Neben den Einzeldenkmälern gibt es noch die Denkmalbereiche. Bei denen werden nur bestimmte Teile von Gebäuden, Straßen oder Grünflächen unter Schutz gestellt. Vertreter dieser Kategorie sind die Siedlung Ladebow, der Fischerort Wieck und die Greifswalder Altstadt, deren Grundstücksstrukturen zum Teil noch auf den mittelalterlichen Grundriss zurückzuführen sind; für die also lange, schmale Grundstücke und enge, rechtwinklig zueinander verlaufende Straßen das typische Erscheinungsbild darstellen.
Ebenfalls typisch für das historische, hanseatische Stadtbild ist das Giebelhaus, das beispielsweise in der Steinbeckerstraße oder am Marktplatz gefunden werden kann. Darüber hinaus zeigt sich, dass ein Denkmal nicht nur in einer Kategorie vertreten sein muss. „Die gesamte Greifswalder Altstadt ist auch ein Bodendenkmal, denn sie stellt den Stadtgründungsbereich dar, das heißt, sie existiert seit dem dreizehnten Jahrhundert und dementsprechend gibt es dort Siedlungsspuren auch unter der Erde. Eigentlich findet man dort an jeder Ecke etwas, wenn man anfängt zu graben“, führt Ewald aus. Auch muss ein Denkmal nicht immer am selben Ort zu finden sein und stillstehen. Ein Vertreter der sogenannten beweglichen Denkmäler ist mit der „Greif“, einem Segelschulschiff, in Greifswald schnell ausfindig gemacht.

Denkmalschutz und Denkmalpflege

 Niedrige, meist eingeschossige Gebäude und oft mit einem Rohrdach bedeckt, zählen zum typischen Erscheinungsbild des Fischerorts Wieck.

Niedrige, meist eingeschossige Gebäude und oft mit einem Rohrdach bedeckt, zählen zum typischen Erscheinungsbild des Fischerorts Wieck.

Denkmalschutz und -pflege obliegen dem Land, den Landkreisen und Gemeinden und dienen dazu, Denkmäler, zu pflegen und zu schützen, wissenschaftlich zu erforschen und einer sinnvollen Nutzung zuzuführen. Beim Betrachten des Denkmalschutzgesetzes stellt sich die Frage, warum es dann Gebäude wie die Stralsunder Straße 10 gibt, die trotz ihres Status‘ offensichtlich dem Verfall unterliegen. „In diesem Fall ist es so, dass wir zwar Möglichkeiten haben, gemäß des Denkmalschutzgesetzes einzugreifen, aber man kann nicht gleich davon ausgehen, dass der Eigentümer zur Sanierung gezwungen werden kann. Wir müssen immer auch Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen heranziehen. Gibt es zum Beispiel ein großes Loch im Dach eines Gebäudes, können wir beauflagen, dass der Eigentümer handeln muss, um Gefahren vom Gebäude abzuwenden“, berichtet Ewald. „Aber zu einer kompletten Sanierung können wir niemanden zwingen. Das geht nur in Zusammenarbeit mit dem Bauherrn und unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten“, verdeutlicht Henning, „Sie haben da ein Beispiel für ein Gebäude gewählt, dessen Sanierung Summen in Millionenhöhe bedarf.“ Die Denkmalpflege obliegt also dem Eigentümer beziehungsweise dem Bauherrn eines Gebäudes – in Zusammenarbeit und Abstimmung mit der Denkmalschutzbehörde. Daher sind ungenutzte Bauten eher vom Verfall bedroht als solche, die noch genutzt werden, da Mängel hier in der Regel später bemerkt und behoben werden und sie keinen wirtschaftlichen Ertrag einbringen, der auch zur Instandhaltung eingesetzt werden könnte. Nichtsdestotrotz hat der Eigentümer aber die Erhaltungspflicht.
Kompliziert ist die Situation auch, was die Baderstraße 2 betrifft – auch als „Sybilla Schwarz Haus“ bekannt.  Hier befindet sich eines der letzten Giebelhäuser, dessen Geschichte bis ins vierzehnte Jahrhundert zurückgeht und das zudem barocke Einbauten und Strukturen des neunzehnten Jahrhunderts beinhaltet. Das Haus ist unsaniert, steht leer und es ist schwierig, das Gebäude zu nutzen. Da es sich dabei ursprünglich um ein Speichergebäude handelt, ist vor allem das Dachgeschoss zum Wohnen überhaupt nicht geeignet, da die Deckenhöhe nicht den Anforderungen entspricht. Das bedeutet, dass im Grunde nur zwei Geschosse nutzbar gemacht werden können, denn würde man das Dachgeschoss bis hin zur Bewohnbarkeit ausbauen, würden sämtliche historische Zeugnisse in ihrer Originalität zerstört werden. Natürlich gibt es bei Weitem nicht nur Negativbeispiele. Viele der Denkmale verdanken ihren Erhalt und ihre Schönheit ausgiebigen Sanierungen, vor allem im Innenstadtbereich. Ein positives Beispiel kann in der Gützkower Straße 26 gefunden werden. Das hier stehende Wohngebäude beinhaltet neben einer historischen Treppe Malereien im Flur- und Eingangsbereich, die erst kürzlich vollständig gesäubert und restauriert wurden.

Einschränkungen durch den Denkmalschutz

Die Wiecker Holzklappbrücke wurde von dem Greifswalder Holzschiffbaumeister August Spruth entworfen und 1887 erbaut.

Die Wiecker Holzklappbrücke wurde von dem Greifswalder Holzschiffbaumeister August Spruth entworfen und 1887 erbaut.

Dass der Schutz von Denkmälern nicht immer nur positive Folgen haben kann, wird am Beispiel des Jugendzentrums klex deutlich. Das Gebäude, das vom Stadtjugendring und zahlreichen Vereinen für Jugendsozialarbeit genutzt wird, steht unter Denkmalschutz. Dies kann im Falle einer Sanierung des Hauses indirekt zu einer Bedrohung für das Jugendzentrum werden, denn aktuell befindet sich die Nutzung des Gebäudes aus baurechtlicher Sicht in einer Grauzone. Bezüglich Brand- und Schallschutzbestimmungen wird das historische Gebäude als Versammlungsstätte den aktuellen Anforderungen nicht mehr gerecht. Würde das klex nun saniert werden, griffen die aktuellen Vorschriften und Veranstaltungen wie Konzerte könnten nicht mehr durchgeführt werden. Der Denkmalschutz spielt dabei insofern eine Rolle, dass es zwar technisch möglich wäre, das Gebäude entsprechend der gültigen Bestimmungen anzupassen, jedoch wären die Eingriffe nicht mit den Auflagen des Denkmalschutzgesetzes vereinbar. Wann das Gebäude saniert wird, ist noch unklar. „Aktuell stehen wir auf Platz sechs der städtischen Sanierungsliste, dank der Politik. Die Stadt plädierte für Platz zwölf“, so Yvonne Görs vom Stadtjugendring. „Das Problem ist, dass eine vollständige Sanierung Jahre in Anspruch nehmen kann und das Gebäude könnte nicht mehr so genutzt werden wie heute“, erklärt sie weiter. In so einem Fall wäre also die Frage, wann und ob man in dem Haus überhaupt wieder Veranstaltungen im Rahmen der Jugendsozialarbeit durchführen könnte.
Jedoch könnte nicht nur das klex Einschränkungen unterliegen, die unter anderem Folge des Denkmalschutzes wären. Wer sich in Wieck niederlassen und ein Haus bauen will, darf nicht einfach tun und lassen, geschweige denn bauen, was er will. Wieck ist ein Denkmalbereich, die Siedlungsspuren hier gehen ins vierzehnte Jahrhundert zurück und die heutige Erscheinung des Fischerortes ist kein Zufall. „Die Siedlung ist geprägt von eingeschossigen, kleinen Gebäuden, oft mit Rohrdach, das hat schon seine Besonderheiten“, berichtet Ewald. Neubauten müssen sich in das Gesamtbild des Ortes einfügen, so gibt es zum Beispiel Auflagen bezüglich der Höhe und verschiedener Baumaterialien der Gebäude. Auch bestimmte Dachneigungen und Fensterformate müssen eingehalten werden. „Wir hatten vor geraumer Zeit den Fall, dass der Bau eines dreigeschossigen Hauses abgelehnt wurde.“ Denkmalschutz kann also auch Einfluss auf Gebäude nehmen, die noch gar nicht gebaut wurden. Betrachtet man aber das Resultat der Auflagen, sind sicher nicht viele Menschen der Ansicht, dass sie nicht ihre berechtigte Funktion haben. Der Status des Ortes Wieck und der Greifswalder Altstadt als interessante Sehenswürdigkeiten für Touristen sprechen jedenfalls dafür.

Den Artikel schrieben Michael Bauer und Isabel Kockro. Die Fotos stammen von Isabel Kockro.

Prävention statt Strafe

Seit mehr als zwei Jahren wird an der Universität Greifswald die Plagiatserkennungssoftware turnitin verwendet. Nun ist sie auch für Studierende nutzbar. Wie das Ganze funktioniert, was so ein Programm tatsächlich leistet und für wen es eine Hilfe ist, erklärt moritz.

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Die Arbeiten werden mit der Plagiatserkennungssoftware turnitin auf unerkenntliche Zitate untersucht – ähnlich wie der Gepäckscanner am Flughafen das Gepäck auf unerlaubte Gegenstände durchleuchtet.

 

 

 

 

 

Zurück in der Vorlesungszeit heißt es für einige Studenten: Ab ins Sekretariat und die korrigierten Klausuren oder Hausarbeiten abholen. Hoffentlich hat man keine Fehler gemacht und alles verständlich geschrieben – aber was, wenn nun doch ein Plagiat darunter war? Seit dem 1. Januar 2012 verwendet die Universität Greifswald die Plagiatserkennungssoftware turnitin. Dieser Dienst überprüft auf dem Server des amerikanischen Anbieters iParadigms hochgeladene Dokumente auf identische Textstellen in den Arbeiten anderer Autoren. Neuerdings ist die Software auch für Studierende verfügbar. Der Zugriff erfolgt über die Open-Source Lernplattform Moodle. Ein schneller Log-in mit den Benutzerdaten für das Selbstbedienungsportal, schon kann man seine Prüfungsarbeit auf ungewollte Plagiate untersuchen, bevor man sie beim Dozenten abgibt und eine schlechte Note riskiert.

Auf Nummer sicher

Für Studierende ist turnitin gratis, der kostenpflichtige Jahresvertrag für die Softwarelizenz wird regelmäßig von der Universität verlängert.  Die Preise sind über die Webpräsenz von iParadigms nicht öffentlich einzusehen, sie werden individuell mit jeder Einrichtung verhandelt. Für eine Universität mit 12 000 Studierenden beträgt der Listenpreis rund 13 000 Euro pro Jahr, so der Kanzler der Universität, Dr. Wolfang Flieger. Das Unversitätsrechenzentrum ist verantwortlich für die Wartung und Verfügbarkeit der Software für die Studierenden sowie deren Datenschutz. Eine Testphase erbrachte zufriedenstellende Ergebnisse in der Handhabung, allerdings war der Datenschutz während der ersten Moodlesitzungen nicht gewährleistet, da die hochgeladenen Arbeiten von allen Moodle-Nutzern eingesehen werden konnten. Dieses Problem konnte mittlerweile jedoch behoben werden, wie Professor Ralf Schneider, der Direktor des Rechenzentrums, versicherte. Sofern der Nutzer lediglich den wissenschaftlichen Text ohne Deckblatt oder etwaige Namensangaben auf den einzelnen Seiten hochlädt, können während der Überprüfung auch keine personenbezogenen Daten erhoben werden. Ob man seine Arbeit vor der Abgabe schon mal von turnitin überprüft hat beziehungsweise was dabei herausgekommen ist, erfährt außer einem selbst niemand, auch nicht der Prüfer. Nach sieben Tagen wird das Dokument automatisch aus dem Moodle-System gelöscht. Die Löschung auf dem Server von iParadigms erfolgt gemäß der zwischen der Universität und iParadigms vereinbarten Nutzungsbedingungen unmittelbar nach der Überprüfung.

Was sagen die Professoren?

Was den Gebrauch durch die Lehrkräfte angeht, so ist auch gut ein Jahr nach der Einführung von turnitin noch kein einheitlicher Trend erkennbar. Die Institute der Philosophischen Fakultät beispielsweise haben in unterschiedlichem Ausmaß einen Zugang zur Software beantragt und nutzen diese auch sehr unterschiedlich. Ein Befürworter turnitins ist Professor Patrick Donges, Studiendekan der Philosophischen Fakultät und Professor für Kommunikationswissenschaft. „Ich habe schon Studierende über die Software ‚erwischt‘, sogar bei einer Abschlussarbeit […] Die Konsequenz ist, dass die Prüfung als nicht bestanden gewertet und der Täuschungsversuch dem Zentralen Prüfungsamt gemeldet wird“, meint er.
In der Medizin und Zahnmedizin hingegen gestaltet sich die Nutzung der Software oftmals als schwierig oder gar unsinnig, da es weder schriftliche Hausarbeiten noch Bachelor- oder Masterarbeiten gibt. Lediglich die Doktorarbeiten könnten einer Prüfung unterzogen werden. Diese werden aber in der Regel in deutscher Sprache verfasst, während praktisch die gesamte Fachliteratur auf Englisch geschrieben ist, wie der Studiendekan der Universitätsmedizin, Professor Rainer Rettig bestätigt. Zudem würde es bei den Doktorarbeiten zumeist um die Beschreibung und Diskussion von Ergebnissen oder Befunden gehen, die die Doktoranden selbst im Labor erzielt oder am Krankenbett erhoben hätten. Ein Betrugsversuch in diesem Sinn ist dem Dekan aus seinem Fachbereich bisher nicht bekannt. Die Konsequenzen wären jedoch gravierend, vermutet er.
Die Frage ist, ob die Software hält, was sie verspricht. Können Plagiate durch eine elektronische Überprüfung aufgedeckt werden? Unter Leitung der Professorin für Medieninformatik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, Professor Weber-Wulff, wurden in den Jahren 2004 bis 2013 bereits sieben Plagiatserkennungssoftware-Test durchgeführt. Bei der letzten Untersuchung im vergangenen März wurden 15 Programme unter anderem mit Wikipedia-Auszügen, Quellen aus Google Books, fremden Schriftsystemen und besonders großen Dateien konfrontiert. Die Tester vergaben kein einziges „sehr gut“, oder „gut“, lediglich drei Programme erwiesen sich als „teilweise nützlich“. Darunter war auch das an der Universität Greifswald genutzte turnitin. Pluspunkte bekam die Software für schnelle Ergebnisse in kurzen Texten, die einfache Handhabung und die automatische Registrierung Hebräischer und Japanischer Schriftzeichen sowie Homoglyphen. Allerdings erwies sich die Überprüfung großer Textdateien als weitaus weniger effektiv, lückenhaft und sehr zeitaufwendig. Immerhin gelang es den Vertreibern, die in vorherigen Tests kritisierten Punkte zu verbessern, wie beispielsweise die Aufnahme weiterer Online-Quellen in ihre Datenbank für den Abgleich und die Verbesserung der Benutzerfreundlichkeit.

Software ersetzt Rotstift

Zwei wesentliche Probleme bleiben jedoch bestehen: Zum einen werden viele tatsächliche Plagiate weiterhin übersehen, da die Erkennungssoftware nur auf online frei verfügbare Texte zugreifen kann. Hierbei handelt es sich um sogenannte „falsche Negative“. Zum anderen werden augenscheinliche Plagiate angezeigt, die jedoch alltäglichen und oft gebräuchlichen Formulierungen entsprechen, wie beispielsweise „Es ist davon auszugehen, dass…“. Diese Pseudo-Plagiate werden zusammen mit direkten Zitaten als ‚falsche Positive‘ bezeichnet. Zudem ist es in der Vergangenheit vorgekommen, dass mögliche Quellen für die gefundenen Plagiate angegeben wurden, die auf Spam-Seiten mit pornografischem Inhalt verwiesen.
Während auf der Vollversammlung der Studierendenschaft in Wintersemester 2012/2013 noch aktiv gegen die Verwendung der Plagiatssoftware Turnitin an der Universität Greifswald mobil gemacht wurde, ist es in der Hochschulpolitik mittlerweile ruhig geworden um das Thema. Damals berief sich die Vollversammlung auf einen Beschluss des Studierendenparlaments vom 3. Juli 2012, der insbesondere die datenschutzrechtliche Basis für die elektronische Prüfung und die erzwungene Einverständniserklärung kritisierte, der zumindest alle Studierenden der neueren Studienordnungen ab 2012 ausgesetzt sind. Desweiteren fiel das Argument des Generalverdachts, unter den Studierende gestellt werden würden, sowie die Fragen nach der Datenspeicherung und der Fehleranfälligkeit der Software.
Der Plagiatserkennungssoftware-Test 2013 bestätigt: Die Programme finden lediglich identische Textstellen und dienen somit als Hilfsmittel, keinesfalls aber als Prüfstein. Automatisch generierte Plagiatsberichte sollten daher mit Vorsicht genossen und von den zuständigen Prüfern nicht unkommentiert hingenommen werden.

„Natürlich ist es sinnvoll, eine Plagiatserkennungssoftware nicht nur punitiv, sondern auch präventiv und didaktisch einzusetzen. Vor diesem Hintergrund hat die Universität Greifswald – ich glaube, damit sind wir ganz weit vorne – die Möglichkeit eingerichtet, dass unsere Studierenden ihre Arbeiten selbst bei turn-itin hochladen und prüfen können, bevor sie sie bei ihrem Prüfer abgeben. Denn das eigentliche Ziel der ganzen Prüferei besteht ja nicht darin, Plagiate zu erkennen. Das ist nur das Instrument. Das Ziel besteht darin, Plagiate zu vermeiden.“
Dr. Wolfgang Flieger, Kanzler der Universität

Den Artikel schrieben Laura Hassinger und Vincent Roth. Die Grafik stammt von Katrin Haubold.

 

» Welches Bild vermitteln wir damit nach außen? «

mm110_11_PoTa_WeberSeit gut einem Jahr ist Professor Johanna Eleonore Weber im Amt als Rektorin der Universität Greifswald. moritz sprach mit ihr über das vergangene Jahr, die anstehenden Projekte und die nächsten Schritte im Umgang mit dem Haushaltsdefizit.

Wie ist Ihnen das letzte Jahr als Rektorin der Universität Greifswald vorgekommen?
Ich kann es kaum glauben, dass schon ein Jahr vergangen ist. Die Zeit ist schnell verflogen, weil die Tage so ausgefüllt sind. Auch früher hatte ich volle Tage, aber nun sind viele unterschiedlichste Aufgaben hinzugekommen, die volle Aufmerksamkeit fordern. Ich hatte erwartet, dass das Rektorat lebhaft und anstrengend werden wird,  aber dass die Aufgaben so vielfältig sind, das hat mich positiv überrascht.
Welche Projekte haben Sie, die Sie 2013 nicht verwirklichen konnten, aber 2014 in Angriff nehmen wollen?
Wenn ich erlebe, wie andere Hochschulen bei bestimmten Themen mit gutem Beispiel vorangehen, wünsche ich mir oft, dass wir das auch möglichst schnell in Greifswald umsetzen können. Aber dann wird mir schnell bewusst, dass die Realisierung viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Zum Beispiel sehe ich beim Thema Gleichstellung oder Internationalisierung, was wir alles verbessern könnten, weiß aber, dass Veränderungen vorbereitet und schrittweise umgesetzt werden müssen. Das erfordert eben Geduld und Zeit. Als wir beispielsweise kürzlich die Universität Lund besucht haben, konnten wir erleben, wie strategisch dort im Hinblick auf Internationalisierung gedacht wird und welch hoher Stellenwert eine auf internationale Gäste abgestimmte Willkommenskultur hat. Mein Wunsch ist es, auch für Greifswald mehr internationale Studierende zu gewinnen und internationale Partnerschaften und Forschung voranzubringen.
Wann muss der Hochschulentwicklungsplan fertig sein?
Der Hochschulentwicklungsplan (HEP) muss am 30. Juni 2014 beim Bildungsminister vorliegen. Wir haben mit den Zuarbeiten bereits im Herbst 2013 begonnen, damit der Senat die Möglichkeit hat, über unseren Entwurf ohne Zeitdruck zu diskutieren und abstimmen zu können. Wir besprechen derzeit einen ersten Entwurf des Hochschulentwicklungsplans in der Rektoratsberatung und in der Dienstberatung. Ab März beziehungsweise April wird der Senat in mehrmaliger Lesung den HEP diskutieren und abschließend darüber abstimmen.
Was sind die neuen Ziele in dem Hochschulentwicklungsplan?
Das ist ein Prozess, der gemeinsam von den beteiligten Gremien der Universität getragen werden soll. Wir gehen mit einem Entwurf in die Diskussion. Da diese Diskussion erst begonnen hat, möchte ich einzelne Vorschläge noch nicht erläutern.
Denken Sie über einen Forschungsschwerpunktwechsel nach?
In der Januarsitzung des Senats wurde darüber schon spekuliert, ob wir eine Änderung in den Forschungsschwerpunkten vornehmen möchten. Unser generelles Bestreben muss es sein, dass der Hochschulentwicklungsplan Änderungen abbildet, die in unserer Forschung erfolgt sind. Dort, wo sich neue Schwerpunkte gebildet haben, wo erfolgreiche Forschung betrieben wird, die auch attraktive Lehre nach sich zieht und Studierende anlockt, tun wir gut daran, solche Entwicklungen im Hochschulentwicklungsplan aufzugreifen.
Wie hat sich die Gleichstellung im letzten Jahr entwickelt?
Auf der einen Seite sehe ich die Entwicklung sehr positiv. Wir diskutieren viel häufiger und offener über Gleichstellungsfragen. Wir haben durch unsere Mentoring-Programme sehr gute Angebote für die Förderung von jungen Wissenschaftlerinnen etablieren können. Aber wir sehen auch, dass Gleichstellung Hand in Hand mit einer ausgeprägten Familienfreundlichkeit gehen muss. Die jungen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die Eltern sind, müssen stärker darin unterstützt werden, Beruf und Familie miteinander verbinden zu können. In der Hinsicht ist schon sehr viel geschehen. Nach wie vor dramatisch gering ist die Anzahl der Hochschullehrerinnen an der Universität, mit Ausnahme der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. Der Anteil an Frauen ist jedoch nur langsam zu steigern, da wir in jedem Jahr nur eine geringe Anzahl von Professuren neu besetzen können. Und zudem sind wir nicht die einzigen, die sich um Wissenschaftlerinnen bemühen. Wir befinden uns gerade in einem fröhlichen Wettkampf um Frauen. Da Hochschulen mit höheren Frauenanteilen auch höhere Förderungschancen haben, sind diese strategisch besser organisiert. Wir müssen aktiv werden, indem wir Frauen gezielt ansprechen, beispielsweise über entsprechende Netzwerke und Fachgesellschaften. Was mich erschüttert hat, ist der geringe Anteil an Frauen in der Gruppe der Hochschullehrer/innen in den neu gewählten Fakultätsräten: In drei Fakultäten, der Theologischen und der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät sowie in der Universitätsmedizin gibt es keine einzige Professorin in den Fakultätsräten, in der Philosophischen Fakultät eine und in der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät zwei. Welches Bild vermitteln wir damit nach außen?

„Wir befinden uns gerade in einem fröhlichen Wettkampf um Frauen.“

Was wird als nächstes beim Haushaltsdefizit unternommen?
In diesem Jahr steht uns eine Prüfung durch den Landesrechnungshof bevor. Das ist das Ergebnis im Streit mit dem Minister, der bezweifelt hatte, dass die von uns angegebenen Daten korrekt sind. Nun sollen die beiden Universitäten Rostock und Greifswald vom Landesrechnungshof geprüft werden. Der Landesrechnungshof wird demnächst an die Arbeit gehen. Wir sind überzeugt, dass wir richtig rechnen, und gehen davon aus, dass die Ergebnisse Grundlage für künftige Verhandlungen sind. Ideal wäre es, wenn wir – korrekte Zahlen vorausgesetzt – für die von uns genannten Bedarfe auch entsprechend mehr Geld erhalten würden.
Wann rechnen Sie mit einem Ergebnis?
Das weiß im Moment niemand. Wir hoffen, dass das Ergebnis so schnell wie möglich kommt.
Glauben Sie daran, dass weitere finanzielle Mittel fließen, wenn das Ergebnis des Landesrechnungshofs positiv ist?
Ich würde mich sehr freuen, wenn es so kommen würde. Es wäre die logische Konsequenz einer Prüfung. Die Frage ist dann nur, ob und wie die zusätzlichen Mittel bereitgestellt werden. Der Doppelhaushalt 2014/15 wurde ja im vergangenen Dezember verabschiedet; weitere Mittel müssten dann in irgendeiner Form den Universitäten zur Verfügung gestellt werden.
Was wären denn die nächsten Schritte, wenn keine weiteren finanziellen Mittel vom Land kämen?
Zunächst haben wir jetzt alle Rückstellungen, die wir noch hatten, unter anderem auch die Mittel für die Sanierung der alten Physik, in den laufenden Haushalt eingespeist. Das heißt, wir haben dadurch in diesem Jahr ein bisschen Luft bekommen, die Personalstellen einigermaßen ausfinanzieren zu können. Ohne die Rückstellungen hätten wir auslaufende Stellen nicht verlängern können; das hätte nach dem Gießkannenprinzip Stellen getroffen, die gerade frei werden. Aber ab dem kommenden Jahr wird es wirklich eng! Dann hilft nur die Hoffnung auf zusätzliche Mittel und den neuen Doppelhaushalt mit den entsprechenden  Zuwächsen für die Hochschulen. Also wir retten uns jetzt sozusagen über die nächsten beiden Jahre mit allem, was wir noch haben, und dann wissen wir selbst nicht weiter, wenn keine Unterstützung kommt.

„Das Rektorat verfügt nicht  über Professoren. “

Trotzdem bangt das Casper-David-Friedrich-Institut um die Schließung, da eine Professorenstelle nicht besetzt werden soll.
Die Stelle ist nicht aktuell gestrichen worden. Es gibt einen früheren Beschluss der Fakultät, die Anzahl der Stellen von drei auf zwei Professuren zurückzuführen. Die Frage ist, wann diese Rückführung von drei auf zwei erfolgt, bereits jetzt im Hinblick auf die Nachfolge von Professor Puritz oder später nach Ende der befristeten Professur von Professor Müller. Die Studiengänge sind nicht bedroht. Es ist Aufgabe der Fakultät, dafür zu sorgen, dass das in der Studienordnung vorgesehene Lehrangebot erhalten bleibt, und sei es durch Vertretungen.
Auf der institutsinteren Vollversammlung der Studierenden war Dekan Wöll dabei und meinte, dass man beim Rektorat beantragen will, dass eine neue Stelle geschaffen werden soll.
Wir können keine zusätzliche Professur außerhalb des Stellenplans der Universität schaffen. Die Fakultät muss ihre Professuren im Rahmen ihres Stellenplans verteilen. Das Rektorat verfügt nicht über Professuren.
Die Zahl der Studierenden an der Universität hat sich in den letzten zwei Jahren verringert. Was wollen Sie dagegen unternehmen?
Wir sehen den Rückgang natürlich mit Sorge. Auf der einen Seite folgen wir darin dem Bundestrend: Der vorübergehende große Andrang durch doppelte Abiturjahrgänge und Wegfall der Wehrpflicht geht zurück, auch bundesweit. Dennoch müssen wir uns die Frage stellen: In welchen Studienfächern ist der Rückgang besonders stark? Für welche Fächer müssen wir gezielt mehr Studierende gewinnen? Wir haben einige Fächer mit einer unterdurchschnittlichen Auslastung, für die besondere Anstrengungen nötig sind. Das betrifft eine Reihe von Fächern in der philosophischen Fakultät, aber auch die Physik. Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir diese Fächer attraktiver machen und sie noch gezielter bewerben können.
Was, glauben Sie, sind die Ursachen für den Rückgang?
Ich weiß es nicht. Wir müssen nach den Ursachen forschen, alles andere ist Spekulation. Leider können wir diejenigen, die NICHT nach Greifswald kommen, nicht nach ihren Gründen fragen, denn genau diese kritische Gruppe kennen und erreichen wir nicht. Wir können uns nur indirekt darum bemühen, an solche Informationen zu kommen, indem wir zum Beispiel mit Hilfe der Qualitätssicherung unsere Erstsemester befragen, was sie bewogen hat, nach Greifswald zu kommen – und was in ihren Überlegungen auch gegen Greifswald gesprochen hat. Eine andere Möglichkeit ist, dass wir Universitäten mit vergleichbaren Studiengängen anschauen, ob dort die Studierendenzahlen auch zurückgehen. Dann erfahren wir, ob der Rückgang für Greifswald spezifisch ist oder ein Fach allgemein an Attraktivität verloren hat. Und das ist eine wichtige Information, denn dann können wir fragen, was unseren Studiengang von dem in anderen Universitäten unterscheidet. Solche Analysen sind der Schlüssel zu den nötigen Änderungen, durch die Studiengänge wieder an Attraktivität gewinnen.

Das Interview führten Angela Engelnhardt, Anne Sammler und Simon Voigt. Simon Voigt schoß auch das Bild.