Eine Rezension von Lena Küting und Marco Wagner

Eine gepresste Blüte findet Henrik Vanger jedes Jahr von neuem in seiner Geburtstagspost. Dabei ist seine Nichte, Harriet Vanger, bereits seit 40 Jahren spurlos verschwunden. Eines steht für Vanger fest: Harriet wurde ermordet. Doch von wem? Da der Tod bereits unübersehbare Schatten auf das Lebenslicht des ehemaligen Großunternehmers wirft, beschließt er endgültig, das Rätsel zu lösen, das ihn sein Leben lang quält: Dass der Mörder von Harriet gefunden wird. Der Mörder, der ihn  jedes Jahr damit demütigt, ihm jene Blumen zu schenken, die seine Nichte ihm schenken würde, wenn sie noch am Leben wäre… Fast scheint es eine unglückliche Fügung zu sein, dass zur selben Zeit der Erfolgsjournalist Mikael Blomkvist (Daniel Craig) aufgrund eines Rechtsstreits mit dem Großindustriellen Hans-Hendrik Wennerström in finanzielle Schwierigkeiten gerät. Fällt es doch dadurch Vanger (Christopher Plummer) leichter, Blomkvist davon zu überzeugen, ihm zu helfen.
Zunächst wenig begeistert, taucht der idealistische Journalist plötzlich in ein schier undurchdringbares Geflecht der Lüge, Scheinmoral  und stößt vor allem auf eines: „Män som hatar kvinnor“*, Männer, die Frauen hassen. Dieses Geflecht hätte er zu keinem Zeitpunkt zu durchdringen vermocht, wäre da nicht seine Komplizin Lisbeth Salander (Rooney Mara), die beide zu dem Schlüssel führen wird, mit der sich die Tür zur Lösung des Rätsels öffnet.

Finchers “Verblendung” gibt Charakteren Zeit, sich vorzustellen

http://youtu.be/TMk64h_IXAc

Der Regisseur David Fincher schafft passend zu der Thematik eine düstere Umgebung. An der Buchvorlage arbeitet er sich Szene für Szene ab und bleibt dabei der Frage nach der Wirklichkeit auf der Spur und nicht der der Wahrheit. Sein Film ist leise, nicht einmal ansatzweise so rasant wie sein schwedischer Vorgänger aus dem Jahre 2009. Vollkommen deplatziert ist daher auch das Intro des Filmes, das sehr stark an die vergangenen James-Bond Verfilmungen erinnert und nicht so recht zu dem dann folgenden ruhigen Film passen mag. Im Gegensatz zur Erstverfilmung  gibt dieser Streifen seinen Hauptfiguren Zeit, sich dem Zuschauer in ihren Stärken und Schwächen vorzustellen. Dabei beurteilt er ihre Taten nicht, rückt sie nicht in ein falsches, oder in ein richtiges Bild. Es handelt sich um ein Paradoxon, dass die Welt von Lisbeth Salander und Mikael Blomkvist am Ende doch die gleiche sein soll. Während Blomkvist vor der Perversion zurückschreckt, die der gefundene Serienmörder an den Tag legt, ist diese für Lisbeth eine logische Konsequenz ihrer Vergangenheit.

Trotz einiger Abstriche immer noch Kino der Spitzenklasse

Natürlich kann die US-amerikanische Adaption sich nicht dem Vergleich mit der schwedischen Verfilmung zwei Jahre zuvor entziehen. Dabei bleibt allein ein Kritikpunkt: Warum genau musste Hollywood die Materie noch einmal verfilmen? Ansonsten kommen sich die Werke nicht in die Quere. Daniel Craig hält mit seiner Darstellung von Mikael Blomkvist jener seines Vorgängers Mikael Nyqvist stand, wenn er ihn nicht sogar vielschichtiger vorstellt. Bei ihm ist die Figur nicht nur ein ehrgeiziger Journalist, sondern auch ein bindungsgestörter, freiheitsversessener Liebhaber, sowie ein überforderter Vater. Rooney Mara als Lisbeth Salander tritt mit ihrer viel gelobten Vorgängerin Naomi Rapace in größere Fußstapfen. Auch ihre Lisbeth geht mit den Regeln der Gesellschaft nicht konform und besitzt ihre eigenen Ansichten von Gerechtigkeit, die nicht immer auch Recht sein müssen. Fincher macht es einem leicht, sie dafür zu verstehen. Er mag allerdings einen Fehler begangen haben, als er den Spagat zwischen Zuneigung und Distanz, den Salander im Zusammenhang mit Blomkvist leistet, für ihren Charakter untypisch stark in Richtung Zuneigung gedrängt hat. Sie erzählt Dinge von ihrem Privatleben und ihren Gefühlen, die für Salander als misstrauischen Menschen eigentlich ein Geheimnis sind. Nichtsdestotrotz bietet „Verblendung“ Kino der Spitzenklasse, bei dem die Frage nach der unterschwelligen Scheinmoral schwerer wiegt, als die bloße Suche nach einem Mörder.

* Titel des Romans von Stieg Larsson, der als Vorlage diente.

Foto: Ausschnitt aus Filmplakat, alle Rechte bei Columbia Pictures