So oder so ähnlich war die Reaktion der meisten, denen ich erzählte, dass ich für zwei Wochen in die Ukraine reise. In einem Praktikum bei der Michael Succow Stiftung zum Schutz der Natur arbeitete ich im Projekt „Vermeidung von Treibhausgasen durch Wiedervernässung und nachhaltiges Management von Mooren in der Ukraine“.

Ein Projekt zum Klimaschutz

2,5% der Fläche der Ukraine sind von Mooren bedeckt. Ein großer Teil davon ist stark degradiert oder zerstört. Die Moore sehen dementsprechend nicht mehr nach Moor aus, sondern mehr oder minder nach Wiese oder Weide. Seltene Arten, wie sie nur auf Mooren wachsen, sind verschwunden.

So schaut ein entwässertes Moor aus

So schaut ein entwässertes Moor aus

In Mooren wird Kohlenstoff gespeichert. Werden sie jedoch trockengelegt, um den Torf abzubauen oder Ackerbau zu betreiben, verpufft der Kohlenstoff als Kohlendioxid in die Luft. Vernässt man die Moore wieder, wird das Treibhausgas aus der Atmosphäre entfernt. Das ist – vereinfacht – der Sinn der Wiedervernässung von Mooren. Nebenbei leistet die Moorwiedervernässung einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz. Zudem reduziert sich die Wahrscheinlichkeit von Torffeuern.

 

Das eingesparte Kohlendioxid lässt sich verkaufen. Damit man weiß, wieviel Kohlendioxid man durch die Wiedervernässung einspart, muss man wissen, wieviel gegenwärtig ausgestoßen wird. Dafür kann man prüfen, welche Pflanzen auf den Flächen wachsen. Über die Vegetation lässt sich abschätzen, wie hoch der Wasserstand ist. Der Wasserstand wiederum bestimmt die Treibhausgasemissionen.

Ergo werden auf den Flächen Vegetationsaufnahmen durchgeführt. In einer Probefläche von beispielsweise fünf mal fünf Metern nimmt man die hier wachsenden Pflanzen auf und den Prozentsatz der Fläche, die sie bedecken. Genau das taten wir acht Tage lang in der Ukraine.

25 Stunden Fahrt

Von Berlin aus fahren zwei Mitarbeiter der Michael Succow Stiftung und ich 25 Stunden mit dem Zug nach Kiew (wobei an zugestehen muss, dass der Zug zwei Stunden Verspätung hat). In Richtung Osten wird die Zugfahrt immer holperiger. Schon die deutsch-polnische Grenze merkt man. Den Übergang in die Ukraine erst recht: Ukrainische Bahnschienen liegen ein paar Zentimeter dichter zusammen. Das bedeutet nicht etwa, dass man von einem Zug mit breiterer Spurweite in einen mit niedrigerer gescheucht wird. Stattdessen werden alle Waggons auseinandergekoppelt. Die Waggons werden mit allem Drum und Dran angehoben. Dann werden die Drehgestelle, also die Teile des Zuges mit den Rädern, umgetauscht. Nebenbei werden noch die Pässe kontrolliert. Das Ganze dauert durchschnittlich zwei bis drei Stunden.

Kiew – auch hier ist der Kapitalismus

Der letzte Kiewer Lenin

Der letzte Kiewer Lenin

Von unserer Unterkunft hat man, wenn man denn erstmal sich und sein Gepäck in den sechsten Stock hochgewuchtet oder der Fahrstuhl einem nicht direkt vor der Nase die Tür zugemacht hat, einen guten Blick über einen Teil Kiews. Es wird viel gebaut. Laut ist es wie in jeder Großstadt. Vielleicht gibt es etwas mehr Kopfsteinpflaster. Aber die Plakate könnten überall hängen – der Kapitalismus ist eindeutig auch hier angekommen. Eine einzige Lenin-Statue ist übrig, die anderen wurden abgerissen. Daneben steht ein Infostand einer kommunistischen Partei, ganz original mit Hammer und Sichel verziert.

Parkplätze werden in Kiew recht kreativ eingenommen, auch mal mitten in der Kurve. Die Autofahrer drängeln, wenn man über die Straße geht, auch wenn man eigentlich noch eine halbe Minute lang grün hat, wie die Ampel freundlicherweise anzeigt. Die Busse sehen zum Teil einfach aus wie Busse, zum Teil scheinen sie jedoch nur noch durch Rost, Spucke und guten Willen zusammengehalten zu werden. Und was man konstatieren muss: Auch wenn es leicht wäre, gibt es keine Schwarzfahrer. Man steigt ein, wenn man weiter hinten sitzt, reicht man das Geld nach vorne durch. Der Fahrer sucht beim Fahren nebenbei das Wechselgeld heraus, das wird dann zurückgereicht.

Größere Kreuzungen haben in Kiew häufig eine Unterführung. So kommt man mit heiler Haut von einer Seite auf die andere, sofern man nicht auf den ausgetretenen, zum Teil geborstenen Stufen ausrutscht.

Die Stationen der Metro gehören mit bis zu etwa hundert Metern unter dem Erdboden zu den tiefsten der Welt. Entsprechend sind die Rolltreppen sehr lang, sehr steil und ziemlich schnell. Es gibt drei Linien. Für zwei Hrywnja, umgerechnet etwa 18 Cent, kann man an einer Station einsteigen und dann mit der Linie so weit fahren, wie man möchte. Je nach Tageszeit sind die Wagen relativ leer bis brechend voll. Letzteres macht insbesondere mit Reisegepäck Spaß.

Sprachbarrieren

In der Hauptstadt bekommt man Speisekarten häufig je nach Bedarf auf Ukrainisch oder auf Englisch. Das ist auf dem Land anders. In dem Städtchen, in dem wir die meiste Zeit wohnen, spricht kaum jemand englisch. Den „Ich verstehe kein Wort von dem, was Sie sagen“ – Blick habe ich nach kürzester Zeit parat. Die Ukrainer sind definitiv freundlich und hilfsbereit, aber leider bringt mich auch das nicht immer weiter. Glücklicherweise haben meine Begleiter einen wesentlich größeren Wortschatz als ich mit meinen dreieinhalb Wörtern. Und wir haben wir den ukrainischen Studenten Dima dabei, der englisch spricht und für uns übersetzt. Dennoch bin ich froh, dass ich zumindest kyrillisch lesen kann. Manches ergibt sich dann von selbst. „Butterbrot“ etwa heißt auf ukrainisch nichts anderes als „Butterbrot“. Aber wenn man mal einen Salat ohne Majonnaise möchte – die Ukrainer lieben Majonnaise – hilft auch der Einsatz von Händen und Füßen nicht weiter. Zugegeben ist der Salat dann stattdessen meist in Öl ertränkt, aber gut.

Ukrainische Frauen

Was schon seit der polnischen Grenze auffällt und weiter nach Osten immer mehr, ist der Gleichgewichtssinn der Frauen. Auf den Kopfsteinpflaster- und Schlagloch-Wegen, wie sie vorherrschen, stolpere ich selbst mit meinen flachen Turnschuhen. Bei den ukrainischen Frauen hingegen sind Absätze ab zehn Zentimeter Höhe aufwärts – auch in den Dörfern – normal. Dieses Schuhwerk wird kombiniert mit Minirock und hautengem Top. Ein entsprechendes Makeup vervollständigt das Gesamtbild. Durch diese Bekleidung soll wohl die Aufmerksamkeit der Männer gewonnen und der eigene Reichtum dargestellt werden – wobei auf den Frauen dementsprechender Druck lastet. Ist eine Frau verheiratet, wird die Kleidung meist nach und nach wieder praxistauglicher. Die Emanzipation in der Ukraine, wie auch in anderen osteuropäischen Ländern, hinkt ein wenig hinterher.

Pferdepflug und Internetcafés

Pferdewagen gehören zum Straßenbild

Pferdewagen gehören zum Straßenbild

Pferdewagen – nicht die bunten Dinger für Touristen, sondern richtige – gehören auf dem Land zum Straßenbild. Die Felder sind so klein, dass ein Traktor häufig mehr schaden als nützen würde. Mais wächst in ordentlichen Reihen zwischen Kürbissen und Kartoffeln, daneben steht ein Beet mit Blumen. Was liegt näher, als mit Pferden zu pflügen? Neben den Pferdewagen sieht man Leute jeder Generation auf den Feldern arbeiten. Die Frauen auf den Feldern haben weiße Kopftücher um. Die älteren Damen kleiden sich ganz original in Kopftuch, Kittelschürze, Pantoffeln und Socken.

Häufig sieht man abends insbesondere ältere Menschen auf der Bank vor ihrem Haus sitzen, mal Pfeife rauchend, mal sich unterhaltend. Die Häuser sind einige Meter von der Straße zurückgesetzt. Das schafft Platz für spielende Kinder, für Hühner, Gänse, Ziegen oder auch mal ein Pferd oder eine Kuh. Die Gebäude selbst sind teils aus Holz, teils aus Stein. Häufig sind sie bunt. Insbesondere die Fensterrahmen, häufig auch die Ecken der Häuser und die Zäune sind bemalt und verziert. Den zweifelhaften Exportschlager Plattenbau findet man natürlich auch in der Ukraine.

Die ganze Zeit liegt ein Geruch nach verbrannten Pflanzen in der Luft – es ist Zeit der Ernte, und die Kartoffelfeuer brennen. Wobei sich allerdings manchmal der Geruch zu einem Nebel auswächst. Vor einem Handyladen unterhalten sich die Mütterchen. Eine Kneipe wirbt mit Internetzugang.

Die Ukraine ist ein Land mit qualitativ fragwürdigen Straßen, sehr hilfsbereiten Menschen und voller Gegensätze.

Fotos: Tjorven Hinzke