In Sachen Verkehrsanbindung hat man’s in Vorpommern nicht leicht. Das bekam zu spüren, wer am vergangenen Samstag Lesung und Podiumsgespräch mit Günter Grass und Norbert Lammert besuchen wollte. Eigentlich sollten der Literateraturnobelpreisträger (SPD) und der Bundestagspräsident (CDU) im Landesmuseum gemeinsam über Lobbyismus diskutieren, doch daraus wurde nichts: Der Präsident habe in Köln festgesessen, hieß es, von wo aus er keinen zeitlich passenden Flug mehr nach Berlin oder Hamburg bekommen habe. Von dort wäre er dann ordinär im Wagen nach Greifswald weitergereist. Ob diese Erklärung stimmt, sei dahingestellt – der Autor hat sich gar nicht erst die Mühe gemacht, das überprüfen zu wollen, denn es tut nichts zur Sache.

Lammert ließ sich also entschuldigen (beleidigtes Raunen im Publikum) und die bedröppelten Veranstalter fanden kurzfristig Ersatz in Volker Heck, Konzernsprecher des Stromkonzerns RWE. Heck hatte vorher schon an einer Podiumsdiskussion im Koeppenhaus teilgenommen und war wohl nicht rechtzeitig geflohen. Das wäre er vielleicht besser, denn auf dem Podium hatte er einen schweren Stand. Gleich, was der Konzernsprecher sagte (zugegeben: meist wenig Gehaltvolles), eins war sicher: In jeder einzelnen Replik des großen Grass wurde Heck anschließend von jenem arrogant abgekanzelt. Doch damit musste er wohl leben, denn Grass ist weder vorzuwerfen, seinen Auslassungen habe es an inhaltlicher Substanz gemangelt, noch muss man mangelnden Respekt vermuten: Als Literat von solchem Rang darf er sich wohl fast alles erlauben.

Probleme: Ja! Lösungen: Nein!

Auf dem Podium (vl): Günter Grass, Weinflasche, Volker Heck, Mathias Greffrath

So zeterte Grass kräftig drauf los, machte (treffend!) einen Glaubwürdigkeitsverlust der parlamentarischen Demokratie aus und verlieh seiner Sorge darüber Ausdruck, indem er mögliche Folgen aufzeigte. Dass die Debatte zu diesem überaus gewichtigen Thema aber nicht über das Niveau eines üblichen Podiumsgeplänkels hinauskam, lag in erster Linie daran, dass weder Grass noch Heck und auch nicht der eher farblose Moderator Mathias Greffrath in der Lage waren, die spannende Frage hinter dem Thema in den Fokus zu rücken; nämlich die, was zu tun ist, um das Problem in den Griff zu bekommen. Sie wurde zwar allenthalben gestellt, aber nicht beantwortet. Revolution wolle er nicht, sagte Grass, das gehe leicht nach hinten los. Vielmehr sei die Frage, ob „das kapitalistische System aus sich heraus reformierbar“ sei. Nur wie?

Das hätten sicher auch die Zuhörer gern gewusst. Gesagt hat es ihnen aber keiner. Die hinteren Reihen des Publikums quittierten den eher faden Gesprächsverlauf dann auch durch fortwährendes unflätiges Diffundieren – was zwar ungehörig und störend, aber eben auch irgendwie verständlich war.

Grass taugt auch als Vorleser

Vor dem Gespräch hatte Grass übrigens auch vorgelesen, aus seinem neuen Werk „Grimms Wörter“. Darin schreibt er, gegliedert wie ein Wörterbuch (ein solches schrieben die Gebrüder Grimm einst), über das Leben der Grimms, sein eigenes Leben und – natürlich – über gesellschaftliche Probleme der letzten beiden Jahrhunderte. Und auch wenn die Verquickung des eigenen Lebens mit dem der Grimms in Ansatz und Umsetzung durchaus auf Größenwahnsinn schließen lässt: Grass scheint ein formidables Werk gelungen zu sein, mit herausragenden erzählerischen Qualitäten und überaus aktuellen und brisanten Fragestellungen (unter vielen anderen auch der des Lobbyismus).

Das jedenfalls vermutet der Berichterstatter nach den drei gehörten Kapiteln und er will außerdem festgehalten wissen: Grass ist ein vorzüglicher Vorleser des eigenen Werkes. Und er ist auch ein vorzüglicher Nörgler. Was das im Zusammenspiel mit dem pragmatisch-distinguierten Lammert ergeben hätte, wäre spannend zu beobachten gewesen — wäre gewesen…

Hinweis: Einen Video-Bericht von der Veranstaltung haben die Kollegen von moritzTV veröffentlicht: Hier klicken zum Anschauen und Kommentieren!

Fotos: Gabriel Kords

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