Während die Zahl der studierten Semester sich dem eigenen Alter nähert, sieht der klassische Langzeitstudent Generationen von Junglernern in Greifswald um sich herum ein- und ausgehen.


… und plötzlich ist man ein alter Sack. Als ich anfing zu studieren war der Internetauftritt der Universität noch gelb und, ganz oldschool-akademisch, in Serifenschrift gehalten. Eine von allen Spirenzchen befreite Textwüste. Eine bollerige Informationsinsel im Meer aus „Under Construction“-Grafiken und spleenigen Mailinglisten – viel mehr gab es damals im www ja nicht.

Der Studierendenausweis war damals noch ein rosa Zettel ohne Foto. Ich erschrak, als mich plötzlich, das mit der Immatrikulation eingereichte, Jugendfoto auf dem neuen Dokument anstarrte. Und das Rausgefummle aus dem Leporello immer: die alternden Gichtfinger haben jedes Mal ihre Müh’ das Ding da herauszutrennen.

Wo andere in rund drei Jahren durchs Studium gescheucht werden, wie Hühner über den Hof, lebt der bummelfreudige Restmagister stoisch und unbehelligt von irgendwelchen Reformen, seinen eigenen Trott weiter. Früher ging das doch auch. Wieso soll jetzt die Uni-Welt eine andere sein. Man muss doch nicht jeden Modernitätskokolores mitmachen. Dem Universitären haftete doch immer so etwas angenehm angestaubtes, altes, zeitenthobenes an. Gerade in den Geisteswissenschaften, dem klassischen Fach der Bummelstudenten. Jahrelang wurde hier rumgedoktort, wurden eigensinnige Forschungsvorhaben angegangen, das Denken von seinen Grundfesten umgekrempelt und philosophisch tief, bis in den Denkapparat, in der Nase gebohrt – bis man dem Wesen des Wissens irgendwie näher zu kommen glaubte. Heute sammelt man im Studium Punkte wie in einer Spielshow. Coins, die man irgendwo sicher noch mal irgendwie investieren kann.

Der Bummelstudent – ein Urzeitvieh aus dem Pleistozän?

Heute geht es im Studium um Erfolge, weniger um Erkenntnisse. Soft Skills erlernt man nicht mehr auf der Straße, nein, sie werden in Seminaren antrainiert. Wie man Hunden Kunststückchen beibringt. Der Bummler alter Schule hingegen begreift die „General Studies“ auf ganz eigene Art und Weise. Er hat nach all den Jahren zwar noch keinen Abschluss in der Tasche, hat sich aber zu einem wahren Lebensprofi entwickelt. Sich irgendwie durchschlagend, lebt der Bummelant mit Immatrikulationshintergrund durch die Tage und Jahre seiner Wissenswalz. Das gut funktionierende Nachtleben Greifswalds spielt hierbei eine zentrale Rolle. Die Langzeitfraktion – jene inklusive, die bereits fertig studiert haben, aber immer noch, und das sogar freiwillig, in Greifswald lebhaft sind – sitzt jetzt zusammen mit denen in der Bar, die gerade mal das Windelwirrwarr überwunden hatten, als man selbst schon über den Abiturprüfungen grübelte.

Dauermüde toddelt der Bummelstudent durch den Jungflohzirkus in den Seminaren. Er ist ein Saurier. Ein reptilienhaftes, von Zeit zernagtes Urzeitvieh aus dem Pleistozän. Der Toddelstudent lumpt sich – ohne genau zu Wissen, wann das mit dem Pleistozän eigentlich war – mit fuchshafter Weltschläue und bäriger Gelassenheit durch die Hektik des Lernbetriebes. Zu Toddlers Zeiten war es noch verpönt Laptops im Seminarraum aufzubauen, heute herrscht Elektrosmog im Hörsaal. Nicht gut für das ohnehin schon fahrige Resthirn des Toddlers. Tierpfleger, Fließbandarbeiter oder Blumengießer – das sind die real denkbaren Lebensentwürfe eines Toddlers. Er ist eigentlich ein Kaffeehausgrantler, der irgendwie im akademischen Betrieb gelandet ist. Was hier zur Wissenschaft erhoben wird – sogenannte Geistesangelegenheiten, Kommunikation, Musik und philosophisches Laborieren – beschäftigt auch den Bummelanten in seinen alltäglichen Selbst- und Weltergründungen. Seine Methoden sind jedoch eher eigen und im Allgemeinen in keinem Reader oder Journal zu finden.

„Welcher Wolf, was für eine Nudel?“

Der klassische Langzeitler hat sich um die Jahrtausendwende herum immatrikuliert und in den krudesten Kombinationen so ziemlich alle Fachrichtungen durchprobiert, in die man sich einschreiben konnte. Wohlgenährt durch jahrelange Mensamästung schleift sich der olle Altmagister beim Versuch sein wildes Sammelsurium an Scheinen zu einem vorzeigbaren Abschluss zusammenzukondensieren, durch die Hörsäle und Bibliotheken. Als Kind einer vergangenen Zeit tapert der Trödelstudent auf den wunden Synapsen seines Denkorgans durch die letzten Züge seines ausgedehnten Studiums. Die heutige Verlagerung des Organisatorischen in komplizierte Online-Portale und Neuerfindungen, wie WULVs und Moodle, macht das nicht unbedingt leichter. „Welcher Wolf, was für eine Nudel?“ geht es dem Langzeitler langsam zwischen den Ohren umher. Der Trödelstudent trödelt nicht aus Boshaftigkeit oder Faulheit, es sind tiefere Gleichgültigkeiten, die ihn umtreiben. War ein Studium nicht mal eine wichtige Phase der Menschwerdung, die Zeit der Post-Pubertät, die Zeit der Denkschulung, ein Trimm-Dich-Pfad fürs Gehirn, den die eine eben schneller, der andere etwas langsamer beschreitet? Die Langzeitstudierenden sind schwammhafte, wissensdurstige, mit der Zeit porös gewordene Gehirne auf Krücken. Manische Thementieftaucher.

Natürlich sind es nicht nur Bummelfreuden und vieldimensionaler Müßiggang, die die Dauer eines Studiums dehnen können. Prekäre und familiäre Lebensumstände fordern von den Studierwilligen außeruniversitäre Mehraufwände, die häufig mit den Regeln und Pflichten eines normgerechten Studiums kollidieren.

Ein Gemüsegarten als Lebenslauf

Der klassische Trödelstudent begreift das Studium weniger als Sprosse einer Leiter, sondern vielmehr als Teil etwas Ganzheitlichen. Er scharwenzelt sich als Bauleiter auf verschiedenen Baustellen durch eine Lebensmelange aus Studium, Selbstverwirklichung, Projekten und Passionen. Dem Ewigeingeschriebenbleiber ist es egal, welchen Hipnessfaktor der Arbeits- beziehungsweise viel mehr Praktikumsgeber hat, den man bei facebook zur Schau trägt. Der Lebenslauf eines Langzeitstudenten ähnelt einem gut bestellten Gemüsegarten. Ein Cluster aus Kraut und Rüben. Etwas wonach, in Zeiten der allseits geforderten Vielheitsflexibilität, jeder Arbeitgeber mit Kusshand Ausschau halten sollte.

Der Dauerstudent hat sich ein weites Netz aus Kompetenzen und Connections erarbeitet. Er kann alles: Callcenter, Kellnern, Kreativbüro. Er ist ein mit allen Wassern geweihtes Allround-Genie, ein Essayist im Leben, eine ständige Probe aufs Exempel. Die Langzeitler kleben Kronkorken und erste graue Haare in ihre Studienbücher. Sprechstundenbesuche bei den Professoren ähneln immer mehr Einigungsgesprächen, die der Schadensbegrenzung dienen. Die, mit denen er damals anfing zu studieren, sind bereits Konzernleiter und im Nirvana der Erwachsenheitswelt verflogen; werden zumindest auch langsam fertig oder sind als ziellose Lethargiker in eitlem Zynismus zergangen.

Die Alten Säcke gehen natürlich auch noch gerne abends raus. Durch die üblichen Kulturlokalitäten schleifen sie sich in alterszäher Zeitlupe. Saufsaurier. Um sie herum ein stetig fluktuierende, welpenhafte Tobemeute. Ein flirrendes Gewusel, nächtelanges Gewehe durch rauchigen Zeitverflug. Gegenseitige Befeuerung von jung und älter. Während die Welpen morgens wieder juxfidel in der Vorlesung sitzen, zerrt die Bummlerfraktion ihre tauben Leiber nur mit Ach und Krach hinter die Lernbänke. Man wird nicht jünger. Gemeinsam werden wir alt. Bildet Bummelbanden!

 

Ein Feature von Ferdinand Toddler.