Ein Erfahrungsbericht

Der ICE kommt jetzt auch bis Greifswald.

Der ICE kommt jetzt auch bis Greifswald.

Dienstagmittag, 12:30 Uhr, Nürnberg Hauptbahnhof, Gleis 6. Die Spannung steigt: Gleich soll er kommen, der sagenumwobene ICE nach Greifswald. Doch bevor ICE1208, der Retter der vorpommerschen Bahnanbindung, wirklich einläuft, wird es erst mal richtig spannend: Der Monitor am Gleis verkündet, der Zug fahre nur bis Berlin Gesundbrunnen. Zwar über Jena und Halle, aber eben nur bis Berlin. Dann die computergesteuerte Ansage per Blechstimme: „Auf Gleis 6 fährt ein: ICE1208 nach (Pause) über Jena, Berlin, (Pause).“ Das klingt nicht sehr verheißungsvoll. Entweder, der Zug fährt ins Nirgendwo oder der bayrische Computer kennt sich in der pommerschen Provinz nicht aus.

Als der Schnellzug dann einrollt, steht der ersehnte Zielort dann aber immerhin auf den Zugschildern: Stralsund. Auch die Reservierung zeigt: Nürnberg-Greifswald. Und der Schaffner bestätigt ebenfalls: Ja, es gehe wirklich nach Stralsund, wenn auch erst seit drei Tagen.

Express-Zug in Slow-Motion

In Steinbach am Wald passiert der ICE auf knapp 600m Höhe den höchsten Punkt der Frankenwaldbahn - mit schlappen 80km/h.

In Steinbach am Wald passiert der ICE auf knapp 600m Höhe den höchsten Punkt der Frankenwaldbahn - mit schlappen 80km/h.

So richtet sich der Autor nun wohnlich im Großraumwagen ein. Denn ein Blick auf den Fahrplan bringt Ernüchterung: Für die nächsten 700 Kilometer braucht der Expresszug mehr als sieben Stunden – was auf ein eher mageres Durchschnittstempo schließen lässt. Und in der Tat: Über zwei Stunden dauert allein die Strecke zum nächsten Bahnhof: Jena. Die Strecke durch den Frankenwald ist steil und schön, aber das Tempo pendelt zwischen 80 und 120 km/h – im ICE wird so etwas ja angezeigt. Frühestens  2016 wird sich die Reise signifikant verkürzen: Dann soll eine Neubaustrecke in Betrieb gehen, die bisher nur durch Bauverzögerungen wegen  Finanzierungsproblemen und einstürzenden Talbrücken von sich Reden machte.

Auch zwischen Greifswald und Berlin fährt der Zug höchstens 120 km/h – schneller geht’s nur zwischen Halle und Berlin. Auf der Strecke nach Vorpommern wird momentan aber gearbeitet: Das Tempo soll von 120 auf 140 bis 160 km/h angehoben werden. Das verspricht im Idealfall eine halbe Stunde weniger. Und auch das gibt’s frühestens 2014.

Komfort: Konkurrenzlos

In Steinbach am Wald passiert der ICE auf knapp 600m Höhe den höchsten Punkt der Frankenwaldbahn - mit schlappen 80km/h.

Der Innenraum ist schöner als im alten Intercity. Jeder Doppelsitz hat eine Steckdose.

Vorerst geht es also gemächlich voran, aber immerhin bequem: Der Sitzkomfort ist höher als im Bus oder im Flieger, aber das ist sowieso egal: Für Vorpommern gibt es diese Alternativen ohnehin kaum. Der Vergleich mit dem Auto hinkt grundsätzlich. Die Alternative hieße: Intercity (zwei Mal täglich) oder Regional-Express (acht Mal täglich). Während der Intercity nur ein bisschen unbequemer ist, weiß jeder, der schon mal drei Stunden im Regionalzug von Berlin nach Greifswald gefahren ist, was er am Bahn-Fernverkehr hat.

Der Autor dieser Zeilen setzt noch einen drauf: Mit einem alten Bonuspunkte-Gutschein kann er die siebenstündige Reise ohne Aufpreis in der Ersten Klasse antreten. Hier weht dem Fahrgast das zarte Odeur echter Ledersitze um die Nase, dazu kommt ein sagenhafter Sitzabstand. So wird die Fahrt durchaus behaglich. Oben drauf gibt’s Tageszeitungen (gratis) und Speisen und Getränke aus dem Restaurant am Platz (alles andere als gratis). Der Speisewagen ist überhaupt so eine Sache, die man als Greifswalder hervorheben muss: In den meisten Intercitys nach Vorpommern fehlt er inzwischen ganz, das Angebot ist überdies üppiger als im Intercity-Bistro. Über die Preise sei dezent geschwiegen.

Die Bahn bleibt die Bahn

ICE-Silhouette auf vorpommerscher Ödnis.

ICE-Silhouette auf vorpommerscher Ödnis.

Die Fahrt nach Greifswald zeigt bereits vor Berlin erste Längen, zumal sie wegen einer klemmenden Weiche in Halle einen Umweg nimmt und der Halt dort deshalb ausfällt. Stattdessen geht es über eine Nebenstrecke direkt nach Bitterfeld. Der Schaffner stammelt eine unverständliche Durchsage zusammen, die Verspätung von 30 Minuten verschweigt er, auch eine Entschuldigung fehlt. Das ist also leider nicht anders als in allen anderen Bahn-Zügen. Einen kleinen Unterschied gibt’s aber doch: Von Bitterfeld bis Berlin fährt der Zug konstant 200 km/h und holt tatsächlich eine Viertelstunde wieder auf. Am Zielort werden es sogar nur noch 10 Minuten sein. Immerhin.

In Berlin wechselt mit dem Personal auch die Atmosphäre an Bord. Das neue Personal ist entweder noch nie im ICE gefahren oder noch nie auf dieser Strecke unterwegs gewesen. Möglicherweise auch beides: Die eine Hälfte der Durchsagen scheitert an der Technik, die andere an den Ortsnamen: Man kann’s ja auch mal mit „Paseewalk“ und „Zühsow“ probieren. Überraschend ist das nicht: Eigentlich ist alles wie immer. Auch ist die zweite Klasse halbwegs gut gefüllt (und das unter der Woche), wenngleich in Berlin Gesundbrunnen zahlreiche Fahrgäste, die erst am Hauptbahnhof einstiegen, wieder aussteigen müssen: „Bitte beachten Sie, dass VBB-Fahrscheine im ICE nicht gelten.“ Im Intercity gelten sie nämlich. Für Brandenburger Pendler ist die Sache also eine Mogelpackung.

Steckdosen und Funk-Repeater

Das kann sich sehen lassen: Der freie Blick auf die Strecke ist möglich.

Das kann sich sehen lassen: Der freie Blick auf die Strecke ist möglich.

Bequemer ist die Fahrt allerdings allemal, vor allem wegen zweier Eigenschaften: An nahezu jedem (Doppel)sitzplatz gibt es eine Steckdose. Der Strom fällt zwar gelegentlich aus systembedingten Gründen für einige Sekunden aus, weshalb man nur Geräte mit Akkus verwenden sollte – aber verglichen mit 4 Steckdosen pro Wagen im Intercity und 0 Steckdosen im Regionalexpress ist das ein echter Fortschritt.

Die Krönung allerdings sind die in vier von sieben Wagen eingebauten Handy-Repeater: Zonen, die mit einem Handy-Symbol gekennzeichnet sind, weisen tatsächlich einen sehr viel besseren Empfang auf als in den alten Zügen. War die Fahrt nach Vorpommern bisher ein einziges Funkloch mit wenigen lichten Momenten, ist es jetzt umgekehrt: Fast immer hält der Empfang, mit wenigen Ausnahmen. Dem Verfasser ist allein das den Aufpreis von gut 10 Prozent gegenüber dem Intercity wert. (Was nicht über den dreist hohen Preis als Ganzes hinwegtäuscht.)

Dem Fahrer zuschauen

Ankunft in Greifswald: Etwas bequemer, aber irgendwie überflüssig.

Ankunft in Greifswald. Eigentlich alles wie immer.

Was auch noch ganz hübsch ist: Man kann dem Fahrer durch eine Glaswand über die Schulter schauen. Auf der Fahrt nach Greifswald allerdings nur als Erster-Klasse-Fahrgast, auf der Rückfahrt dann in der zweiten Klasse. Ansonsten ist die Fahrt von Berlin bis Greifswald sieben Minuten schneller als im Intercity, weil die Halte in Bernau und Prenzlau ausfallen. Das hat simple Gründe: Die dortigen Bahnhöfe sind nicht etwa zu unbedeutend (der Zug hält ja selbst in Anklam), sondern schlicht unsaniert. Weil die Bahnsteige nicht hoch genug sind, kann der Zug nicht halten.

Als der Autor um 19:51 (zehn Minuten zu spät!) wieder vorpommerschen Boden unter den Füßen hat, steht für ihn fest: Der neue Zug ist besser als der Intercity, aber: noch besser. Denn ein zusätzlicher Intercity hätte es auch getan. Ob es wirklich Sinn macht, einen Expresszug nur für einen Bruchteil seiner Fahrt auf Express-Strecken einzusetzen, sei dahingestellt, aber dieses Problem besteht nicht nur in Vorpommern. Dass es letztlich wünschenswerter wäre, weiterhin fünf tägliche Intercitys nach Greifswald und wieder zurück zu schicken, versteht sich also von selbst. Diese Sicht blendet aber die Realitäten aus: Die Bahn hat nicht genügend Schnellzug-Wagen, Nachschub kommt erst 2015. Die Alternative zum ICE lautet daher: Ersatzlose Streichung. Und darum darf man sich über „unseren“ ICE getrost freuen.

Fotos:

  • Innenraum und Logo: Sebastian Terfloth via wikimedia, CC-BY-NA
  • Steinbach: User “tors” via wikimedia, public domain
  • sonstige: Gabriel Kords, alle Rechte vorbehalten
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