Ein Bericht von Marco Wagner

November 2009 wurde das IKuWo zur Zielscheibe Rechtsextremer

Sonntag, 1. November 2009, 2 Uhr: Drei Betrunkene bewerfen das Internationale Kultur- und Wohnprojekt (IkuWo) in der Bahnhofstraße mit verschiedenen GegenstĂ€nden. Es entstehen SchĂ€den an der Fassade des Hauses. Auf der Flucht zeigt einer der TĂ€ter einen Hitlergruß, ein anderer lĂ€sst einen Schlagring fallen. Ein Teil der TĂ€ter flĂŒchtete zum Haus der Markomannia am Karl-Marx-Platz. Die TĂ€ter sind Zeugenberichten zufolge Mitglieder der Greifswalder Burschenschaft Rugia. Der Deutschlandfunk berichtete im Februar 2008, dass die Studentenverbindung „quasi den Hort der Rechtsextremen“ bilde und mit „rechtsextremen Kameradschaftsstrukturen“ zusammen arbeite. So waren beispielsweise die BrĂŒder Stefan und Mathias Rochow Mitglied der Burschenschaft Rugia. Stefan Rochow war von 2002 bis 2007 Bundesvorsitzender der Jungen Nationaldemokraten, und arbeitete fĂŒr die NPD-Fraktionen im Landtag von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Beide sind 2008 beziehungsweise 2009 aus der NPD ausgetreten. Wie der Allgemeine Studierendenausschuss in einer Pressemitteilung berichtete, wurden Stefan und Mathias Rochow  auf Grund von DisziplinarverstĂ¶ĂŸen 2008 aus der Rugia ausgeschlossen. Das Greifswalder Straßenmagazin Likedeeler berichtete in einer Sonderausgabe 2006 darĂŒber, dass  „gute Kontakte“ zu den in Greifswald wohnenden „Neonazikadern“ Lutz Giesen und Paul Schneider bestĂŒnden.

Auch die Burschenschaft Markomannia musste sich in der Vergangenheit mit dem Vorwurf, im rechtsextremen Spektrum angesiedelt zu sein, auseinandersetzen. So schreibt beispielsweise die Frankfurter Rundschau 2005, dass immer dann, „wenn Rechte in der Stadt aufmarschierten, Markomannia, Rugia, gelegentlich auch die Schwesternschaft Athenia mit von der Partie“ seien. So habe man Burschen beider Verbindungen 2005 bei einer Kundgebung des Heimatbundes Pommern gesehen. 1994 brachte die Markomannia auf dem Burschentag in Eisenach einen Antrag zur Eingliederung Österreichs in die Bundesrepublik Deutschland ein. DarĂŒber hinaus wurde in dem Skript die Wiedereingliederung der nach 1945 vorwiegend an Polen abgetretenen Deutschen Ostgebiete als erstrebenswertes Ziel erachtet. Diese Forderung ist auch heute noch in den GrundsĂ€tzen Burschenschaftlichen Gemeinschaft (BG) verankert. Die Markomannia ist Mitglied dieser Organisation. Vor etwa einem Jahr gab der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) ein Informationsblatt mit dem Titel „Burschenschaften im rechtsextremen Spektrum“ heraus, in dem Erstsemester vor den Burschenschaften Rugia und Markomannia gewarnt wurden. Letztere druckte daraufhin eine Gegendarstellung, in der sie betonte, dass keine Kontakte zum rechtsextremen Spektrum bestĂŒnden.

„Wenn man bedenkt, dass diejenigen, die ihre Heimat vor 60 Jahren wirklich verteidigt haben, heute zum Teil als Mörder beschimpft werden, dann sieht man wie weit wir von dem entfernt sind, was Patriotismus wirklich heißt“, erklĂ€rt Professor Dr. Ralph Weber, Lehrstuhlinhaber fĂŒr Arbeitsrecht an der Rechtswissenschaftlichen FakultĂ€t der Greifswalder UniversitĂ€t wĂ€hrend eines Vortrages vor dem Verein Deutscher Studenten (VDSt). „Migration und Einbindung sind Verrat an der eigenen Kultur“, heißt es nach Angaben Carsten Schönebecks, der als Besucher auf der genannten Veranstaltung war, weiter.

Die DVU-Abgeordnete Birgit Fechner Ă€ußerte sich 2004 wĂ€hrend einer Rede vor dem Brandenburgischen Landtag nahezu identisch, indem sie meinte, dass „Integration und Assimilation Raub an Heimat und Volkstum“ bedeuten und dass, „wer seine innere und Ă€ußere Heimat nicht mehr kennt, natĂŒrlich sehr viel leichter regiert und beherrscht werden“ könne. Dieser sei eher bereit, „sich zum kosmopolitischen SpaßbĂŒrger, Konsumsklaven und zum unmĂŒndigen Ja-Sager umerziehen zu lassen.“

Professor Weber ist die CDU zu links geworden. Er wĂŒnscht sich eine Deutsche FPÖ

Zudem soll nach Angaben der Ostsee-Zeitung, ein Treffen zwischen Weber und Udo Voigt dem Vorsitzenden der NPD sowie zwischen dem Professor der Rechtswissenschaften mit Mathias Faust von der DVU stattgefunden haben. Grund hierfĂŒr war die Erörterung einer ParteineugrĂŒndung rechts der CDU. FĂŒr Weber sei die konservative Partei in den vergangenen Jahren zu weit nach links gerĂŒckt. Deshalb erwĂ€ge er die GrĂŒndung einer Partei rechts der CDU nach dem Vorbild Jörg Haiders FPÖ.

Nachdem am 30. Juni in der Ostseezeitung die VorwĂŒrfe gegen Weber thematisiert wurden, verfasste dieser am 2. Juli eine Gegendarstellung, in der er sich in erster Linie ĂŒber den journalistischen Stil, in dem die Autoren Kleine-Wördemann und Schönebeck berichteten, beschwerte. So hĂ€tten die Verfasser den Artikel mit der Absicht verfasst, den Jura-Professor aufgrund seiner konservativen Positionen „sofort auf den Eilzug ins rechtsextreme Lager“ setzen zu wollen. Weber beschwert sich weiter, dass „political correctness nur fĂŒr Ansichten von ganz links“ gelte. „Rechts der Mitte dagegen wird man zum Freiwild von Fehlberichterstattungen und Ehrverletzungen ĂŒbelster Art.“

Als besonders beklagenswert empfindet es der Jurist, dass „rechte, das heißt konservativ-christliche und patriotische Standpunkte“ nicht strikt von rechtsextremen Standpunkten getrennt werden. So wĂŒrden politische Standpunkte, „die frĂŒher von namhaften MinisterprĂ€sidenten der CDU wie Alfred Dregger, Franz-Josef Strauß, Hans-Karl Filbinger oder AltbundesprĂ€sident Karl Carstens vertreten wurden und das politische Erscheinungsbild der CDU prĂ€gten, heute als rechts gleich rechtsextrem bezeichnet und durch die Antifa geschulten Linken bekĂ€mpft.“

Unter den genannten, die Weber als rechts ungleich rechtsextrem bezeichnet, befinden sich zwei Nationalsozialisten: Hans-Karl Filbinger und Karl Carstens. Der spÀtere CDU-Politiker Hans-Karl Filbinger hatte als Marinerichter und NSDAP-Mitglied 1943 und 1945 vier Todesurteile beantragt beziehungsweise selbst gefÀllt. Karl Carstens, zwischen 1979 und 1984 BundesprÀsident, war zwischen 1940 und 1945 ebenfalls Mitglied der NSDAP und trat bereits 1934 der SA bei.

Weber stellt in dem Brief an die Ostsee-Zeitung darĂŒber hinaus klar, dass fĂŒr ihn eine Zusammenarbeit mit der NPD und DVU nur dann in Frage kĂ€me, wenn diese sich von den Verbrechen des Naziregimes distanzierten und die freiheitlich-demokratische Grundordnung anerkennen wĂŒrden. Da dies gegenwĂ€rtig nicht der Fall sei, kĂ€me keine Zusammenarbeit mit beiden Parteien in Frage, wenngleich es fĂŒr ihn „keinen Unterschied“ ausmache, ob er „mit Herrn Voigt oder Frau Merkel“ rede.

Nach Angaben des Fachschaftsrates (FSR) Jura soll sich Weber zudem fremden- und frauenfeindlich geĂ€ußert haben, weshalb die betroffenen Studentinnen und Studenten Beschwerden beim FSR einreichten. Dieser habe daraufhin Weber ein GesprĂ€chsangebot zur KlĂ€rung der VorwĂŒrfe gemacht, dass der Jurist bisher nicht angenommen hat.

Unterdessen wurde die UniversitĂ€tsleitung Ende Juli von der Landesregierung dazu aufgefordert, die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen Weber aufgrund des Verdachtes rechtsextremer TĂ€tigkeiten zu prĂŒfen. Zudem sollen Möglichkeiten ĂŒberprĂŒft werden, das Tragen der Kleidermarke Thor Steinar via Hausrecht zu verbieten.

Thor Steinar ist eine Kleidungsmarke,  auf deren Produkten Abwandlungen rechtsextremer Symbole gezeigt  werden. So mussten die Hersteller des in Königs Wusterhausen sitzenden Unternehmens ihr altes Logo verĂ€ndern, da es der, aus GrĂŒnden der Verfassungsfeindlichkeit verbotenen Wolfsangel zu Ă€hnlich war.

Die Ware wird fast ausschließlich in rechtsextremen SzenelĂ€den feil geboten. Nach Angaben des Brandenburgischen Verfassungsschutzes betrachten Neonazis die Marke als „zur Szene gehörig“.

Wenngleich die Firma nicht mehr deutsch ist, sondern mittlerweile einem Unternehmer aus Dubai gehört, so hat sich an den Motiven der Kleidung nichts geĂ€ndert. Die rechtsextremen Inhalte werden nach wie vor transportiert. So findet in der diesjĂ€hrigen Winterkollektion das alte Logo erneut auf einem Feuerzeug mit dem Namen „TS-Sturm“ Verwendung. In dem Namen des Feuerzeugs verbirgt sich sowohl das KĂŒrzel „S-S“ fĂŒr Schutzstaffel, als auch die Silbe „Sturm“ der Sturmabteilung (SA) der NSDAP. In der Kapuzenjacke „Wings“ wird das KĂŒrzel „TS“ dergestalt von AdlerflĂŒgeln flankiert, dass ein Bezug zum Hoheitszeichen der NSDAP hergestellt werden kann.

Am 3. September Ă€nderte die UniversitĂ€tsleitung die Hausordnung der UniversitĂ€t dahingehend, dass „Verhaltensweisen zu unterlassen sind, die geeignet sind, die öffentliche Wahrnehmung der UniversitĂ€t als weltoffenes, pluralistisches, freiheitliches und demokratisches Zentrum von Forschung und Lehre zu beeintrĂ€chtigen.” DarĂŒber hinaus werden insbesondere “die Verwendung von Kennzeichen mit verfassungswidrigen, rassistischen, fremdenfeindlichen, gewaltverherrlichenden oder anderen menschenverachtenden Inhalten” untersagt. Nachdem in den Medien, so unter anderem in der Wochenzeitung Die Zeit, vorerst fĂ€lschlicherweise die Nachricht ĂŒbermittelt wurde, dass das Rektorat das Tragen von Thor Steinar verbieten wolle, dementierte Pressesprecher Jan Meßerschmidt kurz darauf, dass dies der Fall sei.

Ungeachtet dessen ist weder die UniversitĂ€t Greifswald, noch irgendeine andere UniversitĂ€t von dem Problem des Rechtsextremismus befreit. So berichtete beispielsweise der Unispiegel im Januar 2010 von AktivitĂ€ten Rechtsextremer an verschiedenen deutschen UniversitĂ€ten. Greifswald wird in diesem Zusammenhang ebenfalls erwĂ€hnt. AktivitĂ€ten von Rechtsextremisten seien dem Unispiegel zufolge nicht zufĂ€llig. Neonazis studieren demnach vorrangig geisteswissenschaftliche FĂ€cher und geben sich als „Vordenker einer neuen, rechten Avantgarde“.  Eine BegrĂŒndung dieser These bleibt die Autorin Ine Brzoska hingegen schuldig.

Der Biologiestudent Ragnar Dam auf einem Zeltlager der HDJ

Vor etwa einem Jahr veröffentlichte „Recherche Nord“ Informationen ĂŒber rechtsextremistische TĂ€tigkeiten des Greifswalder Biologiestudenten Ragnar Dam. Bis zum Verbot der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) war er Chef der HDJ-Einheit „Mecklenburg-Pommern“ und „FĂŒhrer“ der Leitstelle Nord. Hausdurchsuchungen in Dams Wohnungen in Berlin und Greifswald ergaben Berichten von „Recherche Nord“ zufolge, dass er in seiner Funktion „Rassenschulungen“ durchgefĂŒhrt habe. Ziel der HDJ war es, fĂŒr die „Blutsreinheit“ und das „Fortbestehen des Deutschen Volkes“ einzutreten. Aus diesem Grund wurde die Vereinigung am 31. MĂ€rz 2009 vom Bundesinnenministerium verboten. „Der Kampf um die Köpfe“, den Udo Voigt vor Jahren ausrief, hat lĂ€ngst begonnen. UniversitĂ€tsstudium, Kleidung von Thor Steinar, Consdaple und die Schulhof-CD: Das ist das GepĂ€ck, mit dem sich die Neuen Nazis auf den Weg in die Mitte der Gesellschaft machen. Regional ist es ihnen bereits gelungen. So erlangte die NPD bei den Wahlen zum Landtag Mecklenburg-Vorpommern in den Landkreisen Uecker-Randow, Demmin und Ostvorpommern zwischen 10 Prozent und 15 Prozent der Zweitstimmen. Nach Angaben der Sozialraumanalyse fĂŒr Anklam seien etwa 17,5 Prozent der Befragten Bevölkerung der Ansicht, dass die Partei helfe, die Probleme vor Ort zu lösen. Die NPD hat die SPD bei der Wiederholung der Kommunalwahl am 27. September 2009 um 0,1 Prozent mit 7,4 Prozent knapp ĂŒberholt. Ob den Rechtsextremen dies jedoch bundesweit gelingen wird, ist von der Zivilcourage derer abhĂ€ngig, die sich keine Neuauflage des Dritten Reiches wĂŒnschen.

Eine Frage der (Doppel)moral

Ein Kommentar von Florian Bonn

Sollte der Staat seinen BĂŒrgern vorschreiben dĂŒrfen, was sie anzuziehen haben? Diese, durch die Änderung der Hausordnung der UniversitĂ€t Greifswald aufgeflammte Debatte, wurde vor einigen Jahren schon einmal in Deutschland gefĂŒhrt. Damals kamen BefĂŒrworter und Gegner allerdings aus der politisch entgegengesetzten Richtung als in der heutigen Debatte. Heulen heute Konservative ob dieses Eingriffs in ihre Freiheit empört auf, hatten sie vor wenigen Jahren keinerlei Probleme damit, angehenden Lehrerinnen und anderen Staatsbediensteten das Tragen eines Kopftuches zu verbieten. Um Kleidung geht es in beiden Debatten nur sekundĂ€r, der Kern ist die Symbolkraft, die dahinter steckt. Ist also die Marke Thor Steinar ein Symbol fĂŒr Rechtsextremismus, auch wenn keine verfassungsrechtlich zu beanstandenden Symbole auf den KleidungsstĂŒcken zu finden sind? Diejenigen, die das nicht so sehen, argumentieren, dass Thor Steinar keine zu beanstandenden Symbole mehr verwendet und mittlerweile im Besitz eines auslĂ€ndischen Investors ist. Doch zur Geschichte der Marke gehören das mittlerweile verbotene alte Logo, die rechtsextremen vormaligen Besitzer und recht eindeutige T-Shirt Motive wie eine große „88“ im Lorbeerkranz. Das ist auch der Weg, mit dem Thor Steinar zu einer profitablen, umsatzstarken Marke geworden ist. Thor Steinar Kleidung kann also durchaus als Symbol der Rechtsextremen bezeichnet werden Die aktuellen, vergleichsweise harmlosen Motive passen gut ins Bild eines Strategiewechsels innerhalb der Neonaziszene. Der Trend geht weg vom klassischen Skinheadoutfit. Autonome Nationalisten kann man rein optisch kaum als Neonazis identifizieren. Auch sonst versuchen sich NPD und andere durch BĂŒrgerfeste und andere Veranstaltungen in der Mitte der Gesellschaft zu etablieren. Ein Thor Steinar tragender Professor kann fĂŒr diese Bewegung schon fast als Maskottchen dienen. Durch ein Verbot von Thor Steinar Kleidung wird niemand aus der Uni ausgesperrt, kaum jemand dĂŒrfte ausschließlich Thor Steinar Kleidung in seinem Besitz haben. Was das Verbot allerdings darstellt, ist ein Verbot des Werbens fĂŒr Rechtsextremismus. Ein solches ist kaum zu beanstanden, gerade weil auch Politische Parteien in den RĂ€umen der UniversitĂ€t nicht werben dĂŒrfen.

Bildnachweis: Archiv/ Homepage des TrĂ€gervereins (“ikuwo.de”) – IKuWo, Archiv/ Homepage “Recherche Nord” (“www.recherche-nord.com”) – Ragnar Dam, Dana via Wikipedia (FPÖ-Plakat), Archiv/ Artikel: Neonazis marschieren ungehindert durch Anklam

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