Zunächst war Carsten Schönebeck, am Dienstag noch stellvertretender Chefredakteur des webMoritz, überrascht: Mit so vielen Gästen hätte er nicht gerechnet. So viele Interessierte kamen am vergangenen Dienstag Abend in das soziokulturelle Zentrum St. Spiritus, um sechs Kandidaten für die Kommunalwahl zuzuhören und ihnen Fragen zu stellen. Bei der Podiumsdiskussion redeten vier studentische Bewerber (Klaus Stampa, Anja Reuhl, David Wulff und Franz-Robert Liskow) und zwei Kandidaten, die schon länger in der Bürgerschaft sitzen (Ludwig Spring, Gerhard Bartels). Die Themen, über die diskutiert werden sollte, streckten sich von der Infrastruktur und den Radwegen bis zum Haushalt Greifswalds. Bei der zweistündigen Veranstaltung hatten aber auch die anwesenden Gäste und die Leser am Computerbildschirm die Möglichkeit, sich per SMS oder mit einer direkten Frage einzubringen.

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David Wulff, Dr. Gerhard Bartels, Anja Reuhl (v.l.n.r.)

Insgesamt ließ sich feststellen, dass sich die Diskutierenden größtenteils relativ einig waren und leider wenig kontrovers argumentierten.

Am Anfang der Veranstaltung erläuterte Carsten Schönebeck die Hintergründe des Abends: „Bei einer Redaktionssitzung haben wir darüber gesprochen, dass viele Studenten ihr Wahlrecht gar nicht wahrnehmen. Dagegen wollten wir etwas tun.” Auch habe der webMoritz, den Carsten in seiner Funktion für die Studenten mit den öffentlich-rechtlichen Medien verglich, einen gesellschaftlichen Auftrag: „Wir wollen Themen setzen und Interesse wecken – nicht nur im Internet, sondern im ‘real life’.”

Vorstellungsrunde mit Barack Obama und Helmut Kohl

In der ersten Runde stellten sich die sechs Kandidaten vor. So erfuhren die Gäste, dass Klaus Stampas (SPD) politisches Vorbild Barack Obama ist, dass David Wulff (FDP) am Liebsten am Museumshafen sitzt, Anja Reuhl (Die Grünen) gern häufiger ins Theater gehen würde und Franz-Robert Liskow (CDU), der seine halbe Verwandtschaft mit zum Abend brachte, „Einheitskanzler” Helmut Kohl bewundert.
Zu den erfahrenden Kandidaten zählen Dr. Gerhard Bartels (Die Linke), der sein Studium bereits vor 30 Jahren abschloss, und Ludwig Spring (Bürgerliste), der als seinen Lieblingsort den Bertold-Beitz-Platz benannte, „weil man von dort aus die Entwicklungen der Universität nachvollziehen kann.” Das Kommen der beiden war nötig geworden, weil ihre beiden Fraktionen keine Studenten für die Kommunalwahl nominiert haben.

Trockenes Thema: Haushalt

Als ersten thematischen Schwerpunkt wählten die Veranstalter das trockene Thema Haushalt.Besonderes Streitthema war die Notwendigkeit der Stadthalle und der Verkauf der WVG.

Klaus Stampa von der SPD erläuterte: „Ich gehe nicht davon aus, dass 2009 einfach wird. So lange noch kein Zwangsverwalter da ist, können wir noch selbst gestalten – die Prioritäten müssen wir aber im sozialen Bereich setzen.” CDU-Nachwuchs Franz-Robert Liskow stellte heraus, dass es nicht unendlich viele Möglichkeiten für einen ausgeglichenen Haushalt gäbe. „Der WVG-Verkauf hätte einen ausgeglichenen Haushalt gebracht, das ist leider nicht so gekommen. Die CDU setzt sich für Bildung ein, alles andere stellen wir hinten an.” Die einzige Frau in der Runde, Anja Reuhl, meinte, dass man sich die Stadthalle hätte sparen müssen. Außerdem schlug sie vor, dass es einen Bürgerhaushalt geben sollte. „Die Ideen der Bürger sollten bedacht werden. Man könnte einen Topf für die Bürgerbeteiligung einrichten. Das gibt es in anderen Kommunen auch schon.” Die Stadthalle sei wichtig, weil sie für Lebensqualität stehe, hielt David Wulf dem entgegen und erklärte, dass Greifswald insgesamt gar nicht schlecht da stehe. Ludwig Spring von der Bürgerliste appellierte an die studentischen Gäste, den Erstwohnsitz hier anzumelden. Derzeit sind unter 50% der Studenten mit Erstwohnsitz in Greifswald gemeldet.

Studentenfreundliche Infrastruktur

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Moderator Frederic Beeskow

BWL-Student David Wulf meldete sich zu diesem Thema zuerst zu Wort und plädierte dafür, auf die Bedürfnisse der Studenten einzugehen: „Man sollte zuerst den Bedarf ermitteln. Eine Möglichkeit wäre, abends kleinere Busse einzusetzen.” Klaus Stampa (SPD) sah es ähnlich und schlug die Juso-Idee vor, dass die Busse auf die Vorlesungszeiten eingetaktet werden sollten und dass Nachtbusse eingerichtet werden können. Anja Reuhl (Bündnis 90/ Die Grüne) stellte fest: „Ich sehe kein so großes Bedürfnis für die Studierenden, Bus zu fahren. Interessant wäre doch eine Busroute ins Umland, beispielsweise nach Lubmin.” Gerade diese Aussage sorgte bei den Anwesenden für Diskussionen. „Die Verbindung ins Umland ist eine gute Idee”, bekräftigte Gerhard Bartels (Die Linke) seine Vorrednerin. Außerdem beschwerte er sich über die Höhe der Fahrkartenpreise, was auch der 21-jährige Franz-Robert unterstützte. Spring betonte weiterhin, dass die Busse doch eher für ältere Mitbürger gedacht seien und die Verbindung – bis auf den Nachtverkehr – ausreichend sei. Und mal wieder herrschte ermüdende Einigkeit.

Wie kann der katastrophale Zustand der Fahrradwege geändert werden?

Und auch bei diesem Thema ergriff Klaus Stampa als Erster das Mikrofon: “Zum einen sollten die Wege der Anklamer Straße ausgebaut werden, außerdem haben wir eine Fahrradmagistrale angedacht und schlagen einen diagonalen Weg über die Europakreuzung vor”, erläutert der 29-jährige die Ziele der Jusos. Viele Anwesende diskutierten hitzig über diese Vorschläge. Anja Reuhl stimmte ihm zu und setzt sich dafür ein, dass „es solche Dinge viel mehr geben sollte. Außerdem sollten Fahrradfahrer gleichberechtigt sein, vor allem in der Innenstadt.” Dr. Bartels forderte eine Lösung für alle: „Ich fahre viel mit dem Auto und bin ehrlich froh, dass ich noch nie einen Radfahrer umgefahren habe. Wir brauchen ein vernünftiges Konzept.” David Wulff schlug indes nicht zum ersten Mal vor, dass auch hier zunächst der Bedarf durch eine Umfrage ermittelt werden sollte – und hoffte darauf, dass sich die Abgeordneten in der nächsten Legislatur schnell darauf einigen können. Bürgerlistenkandidat Spring gab zu bedenken, dass die Finanzierung nicht außer Acht zu lassen sei.

Nach diesen drei Themenkomplexen hatten die Zuschauer die Gelegenheit, Fragen zu stellen. Moderator Frederic Beeskow, ehemals Präsident des StuPa, äußerte: „Hoffentlich wird die Einigkeit nun entzerrt, damit wir das Profil der Parteien erkennen können.”

Diskussion durch Zuschauerfragen

Als Erster fragte ausgerechnet ein kommunalpolitischer Platzhirsch: Der Grüne Ulrich Rose wollte wissen, warum in der Stadt mehr Geld für die Subventionierung des Autoverkehrs – er sprach von Millionen – als für Radwege und Busverkehr (laut Rose lediglich Hundertausende) ausgegeben würden. Ludwig Spring (Bürgerliste), antwortete, dass er keinen Konflikt sehe, da auch der Busverkehr ein akzeptables Straßennetz benötige.

Später tauchte die Frage nach einem ligatauglichen Stadion Greifswalds auf, dass die erwartete Diskussion – wenn auch zu einem den meisten Studenten eher fernen Thema – brachte. Anja Reuhl betonte, dass der Sport wichtig und zu fördern sei, allerdings nicht nur der Fußball. David Wulf sprach sich für die Ligatauglichkeit des Stadions auf. Insgesamt wurde leidenschaftlich und viel über den Sport in der Hansestadt diskutiert.

Auch wurde der Verkauf der WVG angesprochen. Spring stellte heraus, dass die Bürgerliste gegen einen Verkauf war und erläuterte: „Wir befürworten eine Eigenkapitalverzinsung.” Der 59 Jahre alte Bartels forderte, dass die WVG in kommunaler Hand bleiben solle und zusammen mit den Stadtwerken ein großer Dienstleister für die Bürger werden könne. „Die studentische Wohnsituation ist ja auch mein Antrittsthema. Gerade in diesem Bereich sehe ich zahlreiche Probleme, beispielsweise dass immer noch viele Studenten zum Beginn des Wintersemesters in Turnhallen übernachten müssen”, behauptete SPD-Kandidat Klaus Stampa, der von anderen Anwesenden daraufhin korrigiert wurde, dies sei bisher nie der Fall gewesen. In der weiteren Diskussion appellierte er noch einmal, dass „wir die WVG für die Studenten brauchen, die sich privaten Wohnraum nicht leisten können”. Fast philosophisch äußerte sich David Wulff: „Was geschehen ist, ist geschehen – und was in Zukunft passiert, kann ich nicht sagen. Denn die Zukunft ist in der Regel immer ungewiss.” Franz-Robert Liskow erläuterte, dass die CDU dafür war, allerdings der Verkauf nun, ob der Wirtschaftslage, kein Thema mehr sei.

Später ging es noch um Bildungspolitik und die Einstellung der Kandidaten gegenüber Studiengebühren, die bis auf Franz-Robert Liskow und in Teilen Ludwig Spring alle ablehnen, sowie um die Zukunft des Theaters. Außerdem beklagte sich Anne Klatt über die mangelnde Transparenz der Bürgerschaft und über die Unterbindung der Bürgerbeteiligung durch die CDU. Über die Fragen, ob Greifswald Flüchtlinge aus dem Irak aufnehmen sollte, und über die Errichtung eines alternativen Kinos, wurde nur wenig diskutiert. Nach über zwei Stunden Sitzungszeit konnten nicht alle Fragen beantwortet werden, sodass Frederic Beeskow vorschlug, die Diskussion auf dem webmoritz weiterzuführen.

Der Abend klang damit aus, dass die Kandidaten noch vorgegebene Teilsätze durch Frederic vollenden sollten. Eine ungewöhnliche Abwechslung, die das Publikum gerne annahm.
So ergänzte David Wulf die vorgelegte Aussage, „Wenn Sebastian Ratjen auf Grund seiner umfassenden Wahlwerbung gewählt wird” souverän damit, dass er ihm gratulieren wird. „Mir würde die Kinnlade runterfallen”, führte Klaus Stampa den Teilsatz „Wenn Herr Professor Joecks zur FDP wechseln würde” fort.

Insgesamt war Carsten Schönebeck zufrieden mit der Podiumsdiskussion: „Vielleicht können wir solche Veranstaltungen zukünftig regelmäßig durchführen.” Und Frederic Beeskow verabschiedete die Gäste mit den Worten, dass die Verantwortung bei jedem Einzelnen liege, wenn am 7. Juni gewählt wird.

Fotos: Frederike Kühnel