moritz-print-mm75-27-greifswelt-rubrikstarter-klein-matthias-jueglerUnterwegs mit Oberkommissar Zarbock und Obermeister Viehweg: eine Freitagnacht mit den Tücken eines Hustensaftes, einem abiotischen Dschungel und einem doppelten Trockenbauer.

„So, jetzt”, der 30 Jahre alte Arne Zarbock gibt seinem Kollegen das Zeichen. Marlon Viehweg, 37 Jahre alt und seit 2000 als Obermeister beschäftigt, drückt einen der vielen Schalter auf dem Armaturenbrett. Im Mercedes 220 CDI ertönt ein leises, periodisches Piepen. „Nun leuchtet auf dem Dach die LED-Einheit Stop Polizei”, erklärt Zarbock, als sie gegen halb acht einen Mopedfahrer über den Markt huschen sehen. „So geht das ja nicht”, raunt Viehweg. Sofort gewinnt der Einsatzwagen an Tempo und nimmt die Verfolgung auf. Rechts rauscht noch die alte Post vorbei, die jugendlichen Passanten vor ihr unterbrechen das Genippe an ihren Sternburgflaschen und die Mädchen mit den Stöckelschuhen das Rauchen. Nach einem kurzen Anschalten des Blaulichts bleibt der erste Sünder des heutigen Abends auf der Fleischerstraße stehen.

„Können Sie sich vorstellen, warum wir Sie angehalten haben?” Der Polizist stellt den Missetäter zur Rede. „Nö”, antwortet dieser. Obermeister Viehweg kontrolliert die Papiere und gibt dabei ganz automatisiert Anweisungen, wie man in das Röhrchen pusten soll. Dem Fahrzeugführer ist die Situation sichtlich peinlich. Er fährt sich durch die Haare, rümpft die Nase und bläst unsicher in das Messgerät. Den Alkoholgehalt von 0,07 Promille begründet der Mittdreißiger mit der Einnahme von Hustensaft. Wie um Zarbock und Viehweg von der Richtigkeit dieser Aussage zu überzeugen, beginnt nun eine wahre Hustenarie samt Röcheln und schwerem Schlucken. Mit einer Ermahnung lassen ihn die beiden davonfahren.

Ökosystem Streifenwagen

Europakreuzung. Die ordentlich über die Vordersitze gehangenen Lederjacken samt Mützen reflektieren schwach das von außen hereinströmende Ampellicht und tauchen den Innenraum des Einsatzfahrzeuges in schummriges Halbdunkel. Im vorderen Bereich des Wagens verstreuen sich allerlei Polizeiutensilien. Überwuchert von einem abiotischen Dschungel aus Kabeln befindet sich das Funkgerät im Zentrum des Wagens zwischen beiden Vordersitzen, da wo sonst der Aschenbecher ist. Unter der Frontscheibe leuchtet eine Doppelreihe gelber Knöpfe auf. Während Viehweg als Beifahrer die ständig eintreffenden Funksprüche beantwortet, manövriert Zarbock den Wagen sportlich locker in den Süden der Stadt. Beide sind Meister ihres Faches, wenn es um das Mitpfeifen der Melodien im Radio geht. Like a virgin/ Touched for the very first time/ Like a virgin/ When your heart beats/ Next to mine.

Viele Radfahrer ergreifen beim ersten Blickkontakt mit der Streife schlagartig die Flucht. „Ach, da machen wir uns doch bloß zum Klops, wenn wir jeden Radfahrer mit dem Wagen jagen, nur weil er kein Licht hat.” Der Abend schreitet voran. Der Mercedes schlängelt sich über finstere Feldwege außerhalb der Stadt, vorbei an Industriegebieten und dem Golfplatz bei Wackerow. Die beiden Kollegen begutachten alles, was ihnen ins Sichtfeld kommt. Sind es am frühen Abend meist noch harmlose Falschparkereien und umgefahrene Poller, mit denen sich die beiden Polizisten beschäftigen müssen, verändert sich die Situation zu späterer Stunde beträchtlich.

Vom Funkspruch bestellt, fahren sie zum Markt, um einen benommenen und alkoholisierten Obdachlosen wieder auf die Beine zu helfen. Sein Schritt ist unsicher und beschwerlich. Die Wunden, die das Gesicht wie einen Flickenteppich bedecken, erklärt Oberkommissar Zarbock. „Den kennen wir gut. Das ist Hartmut (Name von der Red. geändert), ist immer betrunken und fällt hin. Stirn und Wangen sind schon total ramponiert. Bis das wieder heil ist, vergeht noch viel Zeit.” Parallel angerückte Kollegen verfrachten ihn Punkt 22.43 Uhr in den großen Einsatzwagen. Die Bezeichnung „Sixpack” hören die zwei nicht so gern.
Das Spiel kann beginnen

„Jetzt werden wir mal unsere Spürnase in den Wind halten und nach alkoholisierten Fahrern suchen!” Zarbock ist guter Dinge und grinst. Im Minutentakt ziehen sie nun angetrunkene Autofahrer aus dem Verkehr. Erst das Anschalten der LED-Einheit, dann die Lichthupe und die potentiellen Sünder halten an. Einer nach dem anderen. Beide sind ein eingespieltes Team, das Prozedere immer gleich: Routiniert sichert Viehweg die Beifahrertür ab, während sich sein Kollege um den Fahrer kümmert. Die rechte Hand zunächst auf der Waffe im Holster ruhend, jongliert Zarbock mit seiner Linken die ihm gereichten Dokumente: Führerschein, Personalausweis und Fahrzeugpapiere. „Haben Sie Alkohol getrunken?” Das Antwortspektrum ist weit gefächert. „Ich merke ja, ob mir eine Fahne entgegenweht oder nicht”, erklärt der Polizist.

Eine neue, urbane Variante des Katz-und-Maus-Spieles. Die Regeln sind denkbar einfach. Das erste Team erkennt man am grün-metallic-farbenen Auto. Es entscheidet auch, wer mitspielen darf und wer nicht. Sie verstecken sich in dunklen Einfahrten, auf Parkplätzen und hinter Verkehrsinseln. Denn die Spieler des nicht uniformierten Teams dürfen sie nach Möglichkeit nicht gleich erkennen. Die gegnerischen Teilnehmer haben es ungleich schwerer.

Dass man mit von der Partie ist, wird ihnen erst unmittelbar vor Beginn zu verstehen gegeben. Nun müssen sie viel Geschick und eine gute Taktik an den Tag beziehungsweise die Nacht legen. Ihre Aufgabe: Überzeuge die Männer mit den Mützen davon, dass du nichts getrunken hast. Wem es gelingt, hat gewonnen. „Jeder, den wir sehen, muss mit einer Überprüfung rechnen – vor allem die Führer von älteren Kleinwagen sind oft alkoholisiert”, informiert Viehweg. Die Beamten sind siegessicher und werden ihrer Favoritenrolle gerecht. Beinahe jede Kontrolle ist ein Volltreffer.

Auf dem Revier wiederholen sich die Ordnungshüter im Verlaufe des Abends häufig: „Du musst die Sterne wegpusten”. Je nach Alkoholpegel kann das zu einer unüberwindbaren Hürde werden. Die Polizisten schmunzeln und erzählen nach dem vierten positiven Alkoholtest, dass Angetrunkene, sobald sie von meiner Gegenwart erfahren, plötzlich nervös und zittrig werden. „Diejenigen, die nichts getrunken haben, bleiben da völlig entspannt – wir müssten Sie öfter mal mitnehmen”, scherzt der Oberkommissar und fährt sich durch sein Haar, als schon der nächste Funkspruch kommt.

Sie müssen einen betrunkenen Unruhestifter aus einer Zweiraumwohnung in der Lommonossowallee verweisen. Der Wohnungsinhaber, selber stark alkoholisiert, ist nicht mehr Herr der Lage. „Schafft den hier raus”, kurz vor Mitternacht schallt es lautstark durch das Treppenhaus, „Der hat mir alles wegetrunken und will nicht gehen. Helft mir.”

Einen doppelten Trockenbauer, bitte

„Das ist doch Kacke”, mault der 22-Jährige, den die Beamten um 2.53 Uhr auf der Anklamer Straße, Höhe Netto, vom Fahrrad bitten. Sein Rad wird angeschlossen und die unfreiwillige Taxifahrt beginnt. Ein Geruch aus Alkohol und Schweiß verbreitet sich im Streifenwagen, nachdem die Beamten den Volltrunkenen eingeladen haben. Die gesamte Fahrt zum Universitätsklinikum schimpft und gestikuliert er. Blutentnahme: 2,51 Promille. Mit der Anweisung, zu Fuß nach Hause zu gehen, entlassen die Kollegen den torkelnden, mit seinem Anwalt drohenden jungen Mann. Ein Blick zurück und er wendet sich noch mal an mich: „Und du, du schreibst doch sowieso nur Mist”.

Anschließend durchstreifen Viehweg und Zarbock die umliegenden Viertel und erzählen von ihren kuriosesten Einsätzen. „Stell dir mal vor, da bricht jemand irgendwo ein, gleich bei sich in der Nachbarschaft und läuft über den Neuschnee zurück nach Hause. Wir standen dann vor seiner Tür. Das fand er natürlich nicht so lustig”. Zarbock muss sich den Bauch halten vor Lachen. „Manche machen es uns wirklich einfach”, ergänzt Viehweg.

Es ist kurz vor halb vier am Morgen. Im Streifenwagen herrscht gute Stimmung. Der private Radiosender spielt eine Endlosschleife von Neunziger-Jahre-Hits. Und wieder stimmen die Kollegen pfeifend ein. Ein minimalistisches Klangkonzert.

Der Streifenwagen fährt die Anklamer Straße in Richtung Europakreuzung und plötzlich nimmt das Tönen ein jähes Ende. „Das gibt’s doch nicht”, Obermeister Viehweg zeigt auf den gerade ertappten Radler, der sich mit wankenden Schritten in Richtung seines Rades vorkämpft. Er sieht die beiden und möchte den Beamten gerne seinen Mittelfinger präsentieren. Das scheint nicht mehr so richtig zu funktionieren. Die Aktion endet in einem Rumfuchteln der Hände. Sie positionieren sich gute 100 Meter hinter seinem Rad und beobachten die Szene. Der junge Greifswalder, von Beruf Trockenbauer, setzt sich wieder auf seine Mountain-Bike und fährt beschwerlich, wankend und in ungleichmäßiger Trittfrequenz auf die wartenden Polizisten zu. Zarbock meint ganz nüchtern: „Für den Bauarbeiter wird es teuer. Je Blutentnahme 100 Euro und die anstehende Gerichtsverhandlung kommt ja auch noch.”

Das Spiel wiederholt sich, der Geruch im Auto und die Blutentnahme. Das akustische Wirrwarr aus Schimpfen und Fluchen bekommt nun jedoch eine neue Nuance: Rülpsen. Wieder jemand, der auf den Sitzen des Mercedes ein Talent aufblitzen lässt. Erst wird gepfiffen, dann grandios aufgestoßen. Mit seiner Virtuosität im Bäuerchen machen könnte der Bauarbeiter jeden Grundschüler beeindrucken. Nachdem er zum dritten Mal rät, ihn lieber in Ruhe zu lassen, weil dies sonst ein übles Nachspiel hätte, ergänzt der Greifswalder selbstbewusst: „Ich habe doch keinen Führerschein, das Risiko ihn zu verlieren, gehe ich ein.” Nach jedem Satz pausiert er einen Augenblick und brummt vor sich hin.

Nach zehn Stunden Dienst, genau 156 zurückgelegten Kilometern und etlichen sündigen Autofahrern, passiert der Streifenwagen am frühen Samstagmorgen, gegen halb fünf, das Eingangstor der Polizeiinspektion. Im Aufenthaltsraum essen die Polizisten ihre belegten Schnitten. Zwei Scheiben Brot, dazwischen die halb zerlaufene Butter und Edelsalami. Die Heizung arbeitet auf Hochtouren. Zwischen gewonnenen Wanderpokalen, ausgefüllten Kreuzworträtseln und einer kleinen Küchenzeile wird schwarzer Kaffee serviert, in den Trinkpausen die Nacht ausgewertet. Mit einem kurzen Gruß in Richtung Zarbock und Viehweg verlassen die nächsten Kollegen das Haus für die anstehende Tagesschicht.

Die Fische im hauseigenen Aquarium hängen mit ihren Bäuchen auf dem Grund, nur ein kleiner Wels ist noch mit seiner Arbeit beschäftigt und säubert beharrlich die Scheiben des Beckens.

Autor und Fotograph: Matthias Jügler